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Mozart in Heilbronn

04.10.2012

Heidelberg renoviert sein Haus und führt deshalb die ersten Vorstellungen der Entführung aus dem Serail im Theater Heilbronn auf. Einen Vorbericht gibt Korrespondent Frank Herkommer in Opernnetz

Erbauliches

Vom Umbau des Heidelberger Theaters profitiert „im Endspurt“ das Theater Heilbronn. Mit der Vorstellung der Koproduktion Die Entführung aus dem Serail präsentieren die Heilbronner auch gleich ihr aufgefrischtes Foyer bei einem Theaterfrühstück. Ein Blick nach Heilbronn.

Am 7. Oktober feiert das Theater Heidelberg Premiere in der Musiksparte. Nicht aber in der Heimat, sondern in Heilbronn, bevor endlich, nach dreieinhalb Jahren Umbau- und Renovierungsarbeiten, sich am 24. November der Vorhang wieder in der heimischen Theaterstraße der Kurpfalzmetropole hebt. Mozarts Entführung aus dem Serail steht auf dem Spielplan, eine Koproduktion mit dem Theater Heilbronn. Ab dem 22. Dezember wird die Oper auch in Heidelberg zu sehen sein.

Das Einspartenhaus Heilbronn, erzählt Intendant Axel Vornam bei seinem Theaterfrühstück, beobachtet in der Regel laufende Produktionen anderer Theater, um auf dieser Basis über die Aufnahme ins Repertoire zu entscheiden. Musicals wie Cabaret und Cage aux folles wurden erfolgreich selbst inszeniert, mit „hochmusikalischen Schauspielern“ im Ensemble. Im Gespräch mit Holger Schulze, seit der vergangenen Spielzeit Chef am Heidelberger Haus, vereinbarte man neue Formen der Koproduktion im Bereich Musiktheater. Von Anfang an wird Heilbronn in die konzeptionelle Entwicklung eines Stückes mit einbezogen. „Die Inszenierungen müssen zur Philosophie des Hauses passen“, betont Intendant Vornam. Wobei in die Freiheit der Kunst nicht eingegriffen werde.

Die Einführung in das Stück präsentiert das Theaterfoyer in neuem Glanz. Annähernd drei Millionen Euro hat die Stadt als Trägerin für die Sanierung bereitgestellt, durchgeführt in einer Sechswochen-Aktion während der Theaterferien. Von der Technik über die Klimaanlage, Beleuchtung, Elektrik bis zu den Teppichbodenbelägen: alles wurde restauriert oder neu installiert. Die Theke hat einen neuen Standort bekommen und macht damit Platz für eine mobile Bühne, kein Pfosten hindert mehr die Sicht und Kommunikation. Die Holzdecken frisch bemalt, abgestufte Dreiecke, die Paneelen weiß, die Balken grau, der verblassende Charme der 1970-er Jahre wird abgelöst durch freundliche, kommunikative Offenheit. Als Folie schmücken die Konterfeis der SchauspielerInnen die Fenster. Eine Galerie mit einer klaren Botschaft: Raum und Mensch stehen in einer permanenten wechselseitigen Beziehung. Die transportable, erhöhte Bühne wirkt nicht abgehoben, von allen Plätzen aus sind die Einführungen gut zu verfolgen.

Heidelberg lagert das komplette Team für die letzten beiden Wochen vor der Premiere aus, die Endproben finden auf der schwäbischen Partnerbühne statt. Das Leitungsteam besteht ausschließlich aus Frauen. Regisseurin Nadja Loschy, Dramaturgin Angelika Lösser und die Musikalische Leiterin Mirga Grazinyte-Tyla gehören zu den allerersten, die auf der neuen mobilen Bühne in eine Inszenierung einführen. Ein Regieansatz, der viel verspricht. Loschky verzichtet auf die Elemente der Türkenoper, leuchtet dafür die Beziehungen aus zwischen den unterschiedlichen Konstellationen: Hier ein sensibles Paar, da ein pragmatisches Trio. Ort der Handlung eine Fabrik, wie der Serail ein Ort, wo niemand sein möchte. Die Frage nach dem Zwangscharakter von Beziehungen steht im Fokus, nach möglichen oder unmöglichen Heilungen, wenn Partnerschaften in die Krise geraten sind. Es geht ihr, so Loschky, letztlich um die Essenz: „Die Fremdheit des Einen im Auge des Anderen.“

Der Stadtrat genehmigt nicht nur die knapp drei Millionen Euro für das Foyer, eine Budgeterhöhung ab der kommenden Saison gibt es oben drauf, die stolze Summe von 650 000 Euro pro Spielzeit. Vornam kann auf Erfolge verweisen, die unterlegen, wie tief das Theater in der Heilbronner Bevölkerung verankert ist. Die Auslastung konnte in den fünf Jahren seit seinem Amtsantritt auf 80 Prozent gesteigert werden, die Besucherzahlen stiegen um 22.000 auf 169 000 BesucherInnen in der Saison. Projektwochen jeweils im Mai tragen zur Integrationskraft des Gemeinwesens bei, wenn Vornam die Justizvollzugsanstalt, Förderschulen und alte Menschen beteiligt. Einen hervorragenden Ruf weit über die Grenzen der Region hinaus genießt das jährliche Festival Heilbronn tanzt, an dem sich international renommierte Companys beteiligen. Bei der jährlichen Eigenproduktion in der Musiksparte geht es dem Hausherrn weniger um Repertoire als um Preziosen. Nach Schostakowitsch, Schönberg und Schuberts Winterreise steht im kommenden März die Uraufführung der Oper Minsk auf dem Plan, komponiert von Ian Wilson, mit Texten von Lavinia Greenlaw. Regie führt dann der vormalige Chefdramaturg Christian Marten-Molnár, der dem Haus immer noch eng verbunden ist, wie Intendant Vornam mit Freude feststellt. Für die Kooperation konnte erneut das Württembergische Kammerorchester gewonnen werden. Seit Jahren bewährt sich diese Zusammenarbeit. „Menschen, die sonst nur ins Theater gehen, werden motiviert, ein Konzert zu besuchen, das funktioniert auch in umgekehrter Richtung“, erklärt Vornam den Erfolg.

Ob es Kartenkontingente für Heidelberg gibt? Intendant Vornam lacht. „Wer bestellt, bekommt das Ticket.“ Um verschmitzt hinzuzufügen: „Wir haben für unsere zehn Vorstellungen den Preisvorteil.“