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"Zar und Zimmermann" - Lortzing-Oper am Pfalztheater Kaiserslautern

04.05.2009

Frank Herkommer sieht für "Willi" eine spritzige Inszenierung von Anette Leistenschneider

Pantoffelhelden

Der Himmel ist hoch und der Zar ist weit, sehr weit in diesem Fall. Genauer gesagt: In Oranjeland. Inkognito, versteht sich, denn Peter (mit etwa 2.10 m so lang wie groß) betreibt eine Art Industriespionage. Methode VR China: Seine künftige Flotte, eine gigantische Raubkopie. Die Tripleentende, noch ferne Zukunftsmusik (mit hässlichem Nachklang in deutschen Ohren), darum buhlen Franzosen und Briten in gegenseitiger Konkurrenz um den neuen global player Russland.

Wer findet den under -cover -Russen zuerst auf der Werft? Daheim gibt’s derweil Ärger. Für die kaiserliche Leibwache, die Strelitzen, hat der junge Herrscher aller Reussen den (Modernisierungs-)Bogen überspannt und so machen sie ihrem Namen alle Ehre und richten selbige gegen ihren Bortschgeber. Wer will außerdem vom gemütlichen Moskau weg in ein moskitoverseuchtes Sumpfgebiet an der graukalten Ostsee, gefährlich nahe zur Flottenweltmacht Schweden und so ungemütlich, dass Zarin Katharina aus Anhalt-Zerbst sagen wird: „In Petersburg gibt es klimatisch nur zwei Winter, einen weißen und einen grünen“ ? Wie auch immer, die Heimatfront ruft.

Dieser Stoff gäbe schon den Spannungsbogen für zwei Opern her. Aber richtig komisch wird die vierzig Jahre nach den legendären Ereignissen verfasste Oper von Albert Lortzing erst durch eine Verwechslungsgeschichte, einen trottelhaften Bürgermeister, der sich für klug und weise hält, und eine neckische Liebesgeschichte.

Regisseurin Anette Leistenschneider, unterstützt von der hauseigenen Dramaturgin Mareike Zimmermann, zieht alle Register und bedient (fast) alle Klischees unserer unerwiderten Nachbarnliebe.

Zar und Zimmermann

Karel Spanhak, der Bühnenbildner, stellt in ihrer beider Auftrag ganz Holland komprimiert auf die Drehbühne des Pfalztheaters. Zitate am laufenden Band: Ob Käsemarkt in Alkmaar, Windmühlen oder der Prototyp eines Wohnwagens, Frau Antje und die Tulpen, es fehlt nur der Coffee-Shop und damit der süßliche Geruch, der in dieser Spielzeit bei „Hair“ von der Bühne über das Publikum wabert. Eine Sinfonie in Oranje. Holzpantoffeln als Fries um den Bühnenrahmen als Hommage an den absoluten Höhepunkt: Der Pantoffeltanz. Choreograph Adonis Daukaev, der Marcel Marceau des Pfalztheaters, bringt mit Stefano Gianettis Company den Saal zum Toben: Seine Jungs und Mädels werden zu Pantoffelhelden. Irre komisch, atemberaubend akrobatisch und dabei prickelnd erotisch. Klappern gehört wortwörtlich zum Geschäft. Der Hingucker! Muss man unbedingt gesehen haben! Ulrich Nolte, Chorherr von Kaiserslautern, beherzigt die alte Fußballregel und macht die Mannschaft zum Star. Große Choroper! Großer Opernchor! Alle Protagonisten auf der Bühne in Kostümen von Ulli Kremer, krass und grell, bunt und zeitgenössisch, mit gewollten, augenzwinkernden Übertreibungen und dabei voller Phantasie und Anleihen bei der Haute Couture.

Zar und Zimmermann

Daniel Böhm, der Belcanto- Bariton des Pfalztheaters, rührt in der Rolle des Incognitozaren mit seiner Stimme die Herzen an. Irre schwer, Lortzing zu singen, immer an der Grenze zu a cappella, und wenn der hochtalentierte Andreas Hotz gekonnt den Dirigentenstab schwingt, holt er alles aus seinem Orchester, setzt präzise die langen Längen und die laute Lautstärke, was den Sängern eine ungeheure Konzentration und Intuition abverlangt. Mit Karsten Münster hat die Regisseurin einen Deserteur Peter Iwanow der Extraklasse nach Kaiserslautern gebracht. Wie bei allen an diesem Abend, hohe Textverständlichkeit. Die Entscheidung des Regiestabs, auf Texte am laufenden Band zum Mitlesen zu verzichten, absolut richtig. Heute mal kein Augapfelrollen. Ach, Arlette Meißner, was bist du als Marie so sexy, deine Stimme so betörend, deine Spielkunst so überzeugend! Du könntest ganze Garnisonen zur Auflösung bewegen.

Zar und Zimmermann

Alexis Wagner, eben noch brilliert als Barock-Interpret, jetzt ein tumber Van Bett, Bürgermeister und Blödmann, Einfaltspinsel und Schlaumeier in einem. Eine komödiantische Meisterleistung des kultivierten Bassbariton. Zwischen gekonntem Kalauern und Kilt der englische Gesandte, Lord Syndham, wunderbar präsentiert, stimmlich und mimisch von Schlacksel Rainer Scheerer. In nichts nachstehend sein Pendant, Marquis de Chateauneuf, den Steffen Schanz singt und spielt, seine Arie gehört zu den Höhepunkten des Abends. Won Jang ein ansprechender russischer General, in den weiteren Rollen Ildiko Haulis als Witwe Browe und Peter Diem als Ratsdiener.

So schön kann deutsche lustige Oper sein! Wenn Sie sich einen vergnüglichen, musikalisch dennoch anspruchsvollen Abend gönnen wollen, bei dem Sie einem Potpourrie von bekannten Melodien begegnen werden, von denen Sie gar nicht wussten, dass sie aus dem holzverarbeitenden Zaren stammen, dann besorgen Sie sich schnell Tickets!

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Frank Herkommer

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