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L´Orfeo - Barockoper am Pfalztheater Kaiserslautern

30.03.2009

In seiner Kolumne "Mein starkes Stück" für das Magazin "Willi", bespricht Frank Herkommer die Inszenierung von Urs Häberlie. Fazit: Eine gelungene Opernaufführung

Mein starkes Stück: L'Orfeo (Orpheus)

Die Liebe und der Tod

Warum singen die eigentlich in der Oper? Mit dieser bis heute nicht verstummenden Frage (ungefähr auf dem Niveau, warum man nicht 22 Fußballspielern die entsprechende Anzahl an Bällen zur Verfügung stelle, dann habe doch jeder einen) rechneten bereits die ersten Opernkomponisten. Zu ihnen gehörte Claudio Monteverdi, vor gut 400 Jahren, als die Barockmusik in Mode war. Bislang nur instrumental. Und darum suchte er sich klugerweise als Gegenstand seiner und vermutlich der Welt ersten Oper den Sänger schlechthin aus: Orpheus. Leuchtet doch jedem ein, dass der auf der Bühne singt statt spricht. Und wenn schon einer singt, warum dann nicht gleich alle... Die Oper ist geboren.

Wie war das noch mal? Glücklich und frisch verheiratet, seine Frau Eurydike wird von einer todbringenden Viper in die Ferse gebissen ( die Kenner des biblischen Mythos von der Vertreibung aus dem Paradies ahnen schon, dass damit eine zweite Bedeutung verbunden sein könnte), sie stirbt und landet als Schattenexistenz im Hades, der Unterwelt. Orpheus lullt Charon, den Fährmann ein (den kennt man von Chris de Burg, „Don't pay the ferryman“), Höllenhund Cerberus wird überlistet ( ja, Harry Potter- Fans, der mit den drei Köpfen, der säbert wie ein ausgewachsener Neufundländer), Persephone (Geschichtenerzähler Ovid verwendet wie Monteverdi die lateinische Variante Proserpina, aus Herrn Hades wird Herr Pluto) lässt sich von soviel love story erweichen. Wie jede gute Ehefrau weiß sie ihren Mann Hades, dem Namensgeber des unwirtlichen Totenreiches, rumzukriegen und dem Sänger somit eine zweite Chance zu geben. Eurydike darf mit ihm zurück ins Leben, unter einer Bedingung: Beim Aufstieg aus der Wasserhöhlenwelt darf sich Ehemann Orpheus nicht nach seinem Weibe umsehen. Tut er aber, und das bedeutet den endgültigen Tod.

Wow! Was für eine Geschichte! Herausforderung für die Mythologie schon damals. Aus der Schlange wird ein Körperteil des Orpheus, der steigt nämlich zu früh ins Wochenbett und bringt so den Infektionstod über seine Frau. In der Fortsetzung der ungezähmten Fassung der Geschichte wechselt der gescheiterte Jenseitsbarde die Seiten: Der Mythos erklärt die Knabenliebe (darauf stürzt sich natürlich der gute, handwarme Jean Cocteau in seiner cineastischen „Orphée-Fassung, der Eintritt in den Hades geschieht über den Spiegel, Männerliebe hat nach dieser Auslegung etwas mit Narzismus, mit männlicher Selbstliebe zu tun). Grund des antiken coming outs: Männerliebe kann nicht im Kindbett jäh enden (Aids gab' s da noch nicht). Zur Strafe zerreißen später in weiblicher Solidarität die Mänaden den armen Orpheus, nageln den Kopf auf seine Lyra, werfen sie ins Meer, wo sie am Strand von Lesbos (klingelt's jetzt?) angeschwemmt wird.

Mythos der zweiten Chance. Ein zurück in vergangene Liebe ist nur bei Überwindung des Misstrauens möglich. Mit ziemlich düsteren Aussichten. Orpheus jedenfalls schafft' s nicht. Monteverdi bringt am Ende Dante statt Alkibiades und andere Knaben zum Trost des Witwers. Der Sternenhimmel als Ort, wo Beatrice= Eurydike auf den Geliebten im Himmel wartet (den es bei den Griechen nicht für unsereins gibt. Auf dem Olymp herrscht das Prinzip all exclusive).


Ein Riesenstoff, an den sich Urs Häberli am Pfalztheater heran wagt. Getragen von einer Musik, bukolisch, elegisch, pastoral, einfach himmlisch leicht und ansprechend. Mit Einbau von Originalinstrumenten, der Meister und Dirigent Till Hass selbst am Cembalo, die Harfe on stage. Kein Orchestergraben, genau wie damals bei Monteverdi. Die Unterwelt ein Schwimmbassin mit Turbine statt Cerberus, allegorische Gestalten, die einschweben, den Raum durchschreiten. Madonnen aus Eis, Symbole der Vergänglichkeit. Drei- Meter- Turm und Fünfer als Symbole existentialistischer Kühnheit und Gefährdung. Das Ingeborg- Bachmann-Gedicht, „mir blaut dein für immer geschlossenes Aug“. Gänsehaut-Interpretation aus dem Hintergrund von Rainer Furch. Himmelsleiter und Diaprojektionen , schmelzendes Eis im Bauchnabel, das Kindbett lässt schön grüßen, das meisterliche Bühnenbild von Thomas Dörfler und der Ideenreichtum und die profunde Bildung von Urs Häberli bringen alle Deutungsebenen und mythologischen Elemente zusammen und nehmen den Zuhörer, die Zuschauerin hinein in das Geheimnis von Tod und Liebe. Marcel Zaba verknüpft mit seinen Kostümen überzeitlichen Mythos und Anknüpfung an unsere Gegenwart.
Tobias Scharfenberger ein glaubwürdiger, anmutiger und anrührender Orpheus. Lisa Christelli steht ihm in nichts nach, zwei jubelnde, barockgeeignete Stimmen, die auch schauspielerisch mehr als überzeugen. Hans- Jörg Bock, ein glänzend aufgelegter, stimmlich hoch präsenter Hirte und Orpheusvater Apollo (Homer: Der Fernhintreffende; kein Wunder, bei der Brille). Unglaublich die Entwicklung von Adelheid Fink, die nach dem dramatischen Fach nun auch als Barock-Interpretin zu glänzen weiß (Botin und Proserpina). Vorzüglich auch Doppel Ehemann Alexis Wagner (vor und auf der Bühne) mit seiner strahlenden Stimme. Arlette Meißner, eben noch als Engel in „Ludus Danielis“ von Johannes Reitmeier gefeiert, überrascht einmal mehr. Von wegen Soubrette und leichte Muse! Zwei Musen gibt sie ausdrucksstark Gestalt und Stimme. Bernhard Schreurs zeigt in der Rolle des 3. Hirten, dass Barockgesang sein Spezialfach ist. Dmitri Oussar als Charon rundet ein insgesamt begeisterndes Ensemble ab, zu dem in den weiteren Rollen Shin Nishino, Jung- baik Seok, Hubertus Bohrer und Eric Erlandsen gehören.

Lassen Sie sich gute zwei Stunden verzaubern! Mythos und Musik, die Sie in Bann schlagen werden. Ein Opernabend für Genießer.

Ihr Kulturbeutel Frank Herkommer


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