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Mein starkes Stück:Zeitlose Gefühle

07.03.2009

März-Ausgabe 09 WILLI-Magazin: Kabale und Liebe. Thomas Krauß inszeniert Schiller am Pfalztheater Kaiserslautern. Frank Herkommer zeigt sich in seiner Rezension beeindruckt.

Mein starkes Stück: Kabale und Liebe


Zeitlose Gefühle


Schiller! Eine der ersten Scherzfragen meiner Kindheit: „Kennst du Schillers Taucher?“ - „Nö!“- „Blub, blub, weg war er!“ Konnte ich damals schon nicht darüber lachen. Erst Recht nicht, als ich die unaussprechliche Freude hatte, alle 27 Strophen selbigen Gedichtes in meinen blockierten Knabenschädel zu zwingen. Setzen, sechs. Dann schon lieber die Variante Heinz Ehrhard (happy birthday, Dickerchen, Licht in mausgrauen Zeiten): „Bald waren sie alle verschwunden. Sie wussten verlässlich: Die Tochter ist grässlich. Der Becher liegt heute noch unten.“ Geht doch, das mit dem Auswendiglernen! Oder Lupo (Rolf Kaukas Sohn, kennt den außer mir noch jemand?). Seine Variante der Unendlichen Geschichte (auch „Das Lied von der Glocke“ genannt): „Gefährlich ist's, den Leu zu wecken, verderblich ist des Tigers Zahn, doch der schrecklichste der Schrecken ist Dr. Hillers Lebertran.“ Ich hasste Lebertran, ellenlange Schillergedichte und liebte Lupo, Fix und Foxi.


Und jetzt Pfalztheater. Der Reitmeiertempel lässt kein Schillerjahr aus. So trifft man sich wieder. 2005 das 200. Todesjahr des stürmischen Drängers, 2009 Geburtstag 250. Damals die „Räuber“. Jungstar Oliver Haffner führt Regie. Eine strittige Inszenierung. Aber spannend! Intellektuell brillant-den Bogen zwischen der Bande Karl Moors und der APO und ihres Ablegers RAF geschlagen. Gewalt als tertium comparationis. Einschließlich BILD-Zeitung verbrennen. Eine Inszenierung 2009 könnte die Räuber in Nadelstreifen auftreten und Milliarden verbrennen lassen. Aber das ist eine andere Geschichte.


Dieses Schillerjahr ist Kabale und Liebe dran. Regie führt Schauspieldirektor Thomas Krauß höchstselbst. Eine Art cisalpines Romeo und Julia, nur dass es keine Familienfehden sind, die das Glück vereiteln, sondern Klassenschranken. Hier das Bürgermädchen Luise, dort Ferdinand von Walter, der nach dem Willen seines Vaters Lady Milford heiraten soll. Adel verpflichtet.


Die Kunst, Schiller zu sprechen. Wie wird sich der Regisseur entscheiden? Für die Schnellsprechvariante, mit der Gefahr, dass die Verse einstürzen? Für die künstliche Ibsenpause, die die Sprache zerteilt? Oder wie in Zeiten des Expressionismus infantil-psychopathische Sprechweise? Entscheidet sich Kraus für Sprachmusik, die übertreibt, ohne zu parodieren, ganz nahe an der gesprochenen Barockoper? Oder im Gegenteil: Schiller logisieren, das Pathos ausbremsen, stattdessen nüchtern, literarisiernd?


Der Vorhang geht auf. Schon das Bühnenbild macht klar: Das Stück spielt nicht heute, aber es könnte auch heute spielen. Die Familienfotos an der Wand, die Kleidung zwischen einst und heute. Gestaffelte Räume, die von Zwischenwelten erzählen, von Hierarchien und Wechselwirkungen. Ursula Beutler vermeidet verstaubtes Kostümtheater, Historienprotz, und es gelingt ihr trotzdem, Phantasie anregend und stilsicher das Stück auszustatten. Drei Räume, eine Einheit. Klug!

Mein persönliches dejà vu: Barbara Seeliger. Schon in den frühen 90ern im Ensemble, als auch Kabale und Liebe aufgeführt wird. Aus der damaligen Tochter wird jetzt die Mutter Miller. Gut, dass sie back on stage ist, wenigstens gastweise. Eine Mutter, der die Überforderung mit allen Intrigen abzuspüren ist, die fassungslos dasteht, traumatisiert und paralysiert, wenn das Unglück hereinbricht, wie der Instinkt, dass ihre Tochter in Gefahr ist. Den Vater gibt Peter Nassauer, auch er längst eine Institution am Pfalztheater. Seine Sorge um die Tochter, sein Entsetzen über das Unrecht, das ihm geschieht, geht unter die Haut. Es braucht einige Augenblicke, bis man sich an die Sprache gewöhnt hat. Um dann fasziniert in ihren Bann geschlagen zu sein. Nichts wirkt unzeitgemäß, lächerlich, süß pathetisch. Sprechgeschwindigkeit 2009- was für eine Leistung der Schauspieler! Aber auch eine hohe Anforderung an den Hörer.

Schnell wird klar, wohin die Reise geht: In die glaubwürdige Wiedergabe großer Seelenvorgänge. In das augenzwinkernde Parodieren der wahren Träger jeder Despotie, der Mitläufer mit vorauseilendem Gehorsam. Köstlich Christian Ruth, wie er dem Hofmarschall von Kalb eine Schleimspur verpasst, auf der der ganze Hofstaat ins Rutschen geraten könnte. Subtil, wie sich Jan Henning Kraus in der Rolle des Wurm als Wendehals präsentiert. Ein Traumpaar Michael Klein ( Ferdinand) und Brigitte Urhausen. Er voller Zorn und verletzter Gefühle, dann wieder Grundhaltung Liebe, Vernunftseheverweigerer, der einer großen Frau gewachsen ist ( die wunderbare Sara Nunius als sinnliche, reife, schöne Lady Milford, die eine echte Versuchung und Alternative darstellt), der dem Vater den Kadavergehorsam aufkündigt. Brigitte Urhausen zeigt die Zerbrechlichkeit und Zartheit eines liebenden Mädchens, ihre adoleszente Opferbereitschaft und ihre frauliche Stärke. Nie nur Opfer, immer auch Handelnde. Großes Spiel jenseits von Hollywood und Uta Daniela. Absoluter Höhepunkt Rainer Furch als Ferdinands Vater Präsident von Walter. Als hielte er eine Lehrstunde, wie Schiller zu sprechen sei. Klar, jede Silbe verständlich, eindrücklich, mit Emphase ohne falsches Pathos. Eine Sternstunde für das Pfalztheater. So differenziert, Dämonie aufblitzen lassend, so gewaltig.

Natürlich habe ich das Stück schon mehrmals gelesen, schon einmal gesehen. Thomas Krauß und sein Ensemble schaffen es, dass ich alles vergesse, als hörte ich die Geschichte zum ersten Mal. Dass ich ganz dem Augenblick verfalle. Ich mich fesseln lasse, mit leide, mit fühle, mit fluche, mit lache, mit hoffe, mit sterbe. Aktualisierung à la Haffner in diesem Fall überflüssig. Große Gefühle sind zeitlos. Lassen Sie sich in ihren Bann schlagen!




Ihr Kulturbeutel Frank Herkommer


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