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Merlin oder ein wüstes Land - Tankred Dorst am Pfalztheater Kaiserslautern

15.06.2009

Eine anregende Inszenierung, die Theatergeschichte schreibt. Frank Herkommer im Willi über Murat Yeginer und seine 3-Stunden-Fassung am Pfalztheater.

Mein starkes Stück: Merlin oder das Wüste Land- Schauspiel von Tankred Dorst

Theatergeschichte

Hatte nicht nach dem Zusammenbruch des Sowjetsystems der amerikanische Philosoph Francis Fukuyama das Ende der Geschichte ausgerufen? Utopien wie die seines Vornamenskollegen Francis Bacon schienen auf die Müllhalde der Geschichte zu gehören, Ernst Bloch und sein Prinzip Hoffnung allenfalls noch gut für Doktorarbeiten, Pfälzisches Heimatmuseum und leicht verschrobene Neomarxismusforscher. Der Kampf schien entschieden: Schöne neue Welt des unendlichen Wirtschaftswachstums, freie Bahn den Tüchtigen. An der Wall Street. In der Londoner City. Soziale Marktwirtschaft statt politische Entwürfe. Alle Antagonismen schienen aufgehoben. Der Ost-West- Konflikt, verschwunden wie die DDR, der Nord-Süd-Konflikt würde sich als Produkt des Kalten Krieges in nichts auflösen.

Die Grafik Von wegen! Die Roten sind dann mal weg, die Antagonismen sind geblieben. Der angestaute Zorn hat ein neues Gefäß und seine Farbe ist grün wie die des Propheten. Die Widersprüche des Kapitals lagen selten so offen wie in der Multi- Krise dieser Tage. Die angeblich utopiefreie Wirklichkeit erweist sich bestenfalls als wishful thinking. Kritischer betrachet als gewollte Verschleierung ihrer Geschichtlichkeit. Das Ende der Geschichte kommt eben doch erst am Ende jeder Geschichte.

Als haben Intendant Reitmeier und sein Schauspielchef Thomas Kraus visionäre Begabungen, ein Organ für gesellschaftliche Entwicklungen, setzten sie für diese Saison Tankred Dorsts „Merlin oder das Wüste Land“ auf den Spielplan. Aktueller kann Theater nicht sein. Ein Stück, das ganz tief bohrt. Bestimmt nicht Vergnügungssteuer pflichtig. Eine Art Faust des 20. Jahrhunderts. Mephisto, bekanntlich der Geist, der das Böse will und doch das Gute stets erreicht, findet in Merlin seinen Antipoden, der stets das Gute will und in dessen Namen das Böse Raum erhält. Hat was! Wollte der Kommunismus nicht das Gute, die Abschaffung aller Verhältnisse, in denen der Mensch ein geknechtetes, unfreies Wesen ist? Und heraus kam die Unfreiheit und Knechtschaft, Tod und Gulag für Millionen. Wollte der Nationalsozialismus nicht die von allen Egoismen und Partikularinteressen („ Du bist nichts, dein Volk ist alles!“) befreite völkische Gemeinschaft und heraus kam die schäbige Blockwartkultur und der organisierte Massenmord? Wollten die Gottsucher aller Zeiten nicht das Heil ihrer Zeitgenossen, wenn sie etwa Hexen ein last- minute- Ticket ins Paradies verschafften, die Pforte hieß Scheiterhaufen? Heute erschießen sie im Namen von sweet Jesus Abtreibungsärzte.

Die Grafik "http://www.pfalztheater.de/files/imagecache/2-col-picture-bw/portraits/KOHNE.jpg" kann nicht angezeigt werden, weil sie Fehler enthält.Nach den anthropologischen Gründen fragt dieses Theaterstück. Aus einer völlig unerwarteten Sicht: Nicht aus dem Wesen des Bösen wird die Antwort abgeleitet, sondern aus dem Streben nach Glück. Wen wundert es, dass am Ende in der Fassung von Murat Yeginer der Verweis auf die Erbsünde steht, deren Symbol die Schlange ist?

Dorst nimmt die Mythologien um den Heiligen Gral, Artus und Parzifal, Schwert Excalibor, die Tafelrunde und den Zauberer Merlin, mixt daraus ein Theaterstück, würde man das Original auf die Bühne bringen, von etwa 12 Stunden, die bereits für die Uraufführung um ein Drittel gekürzt wurde. Regisseur Murat Yeginer schafft am Pfalztheater das Kunststück, eine Fassung von knapp drei Stunden auf die Bühne zu bringen. So dicht, dass eine nacherzählbare Handlung nicht herausspringen kann, nicht herausspringen soll. Stattdessen die gute, alte Kolportage, Yeginer als rasender Reporter des Weltgeistes. Ein anspruchsvolles Kaleidoskop voller Zitate: Der weiße Anzug des Godfathers, die Gründgensmaske, Parzifal, der tumbe Tor, der in den Lederhosen und unter Otto- Anleihen, großartig in Szene gesetzt von Christian Ruth, dessen Naivität eben noch Lachsalven provoziert, um dann den Zuschauer in die Abgründigkeit zu werfen, wenn er über Leichen zu gehen bereit ist, nur um Gott zu finden. Kein Ritterspektakel, keine Blechorgie. Stattdessen die apokalyptischen Reiter der Geschichte als Videoeinspielungen.

Wer leichte Kost am Feierabend zu sich nehmen möchte, sollte sich am Fernsehgerät eine der zahllosen Kochsendungen reinziehen. Wer die gehaltvolle Auseinandersetzung mit großen Themen liebt, psychologisch schlüssig präsentiert, geistig aufregend, der darf dieses Stück nicht verpassen. Alleine die schauspielerische Leistung macht dieses Stück zu einem Muss. Die genannte Parzifalinterpretation eines Christian Ruth, die mehr über den homo religiosus offenbart als jedes Buch über die Kreuzfahrer. Eine Susanne Ruppik, die als übergroße Hanne nur aus Schoss zu bestehen scheint, um dann wieder aufs den Männern rechte Maß zurück gestutzt zu werden, daneben in zwei weiteren Rollen, gibt dem Stück eine Dichte und existentielle Tiefe, deren Bann man sich nicht entziehen kann. Ihr ebenbürtig, großes Theater bietend Reinhard Karow. Keiner deklamiert Dichtung so dicht wie diese beiden. Die typologischen Kostüme nicht nur für die beiden von Beate Zoff, eine Augenweide und unerschöpfliche Assoziationsquelle. Das Bühnenbild von Jürgen Höth widersteht der Versuchung der Ivanhoe- Ausstattung, absolut spieldienlich. Henning Kohne in der köstlichen Geburtsszene des Merlin (nur eine Süddeutsche bedeckt die Südflanke) halb Terminator, halb Philipp Otto Runge. Höchst präsent, sprachlich wunderbar kultiviert. Stefan Kiefer (auch er zum letzten Mal als Ensemblemitglied auf der Bühne) spielt den König Artus, mit der letzten, kalten Unbeteiligtheit, wenn getan werden muss, was angeblich getan werden muss. Antje Weiser, die eben noch mit Bravour die Hässliche in Ade Schönheit gespielt hat, jetzt als die überzeugend schöne Königin Ginevra, die von Björn Büchner nicht lassen kann, dem weinerlichen Sir Lancelot, der das Erwachsenwerden vergessen hat. Michael Klein macht in der Stuhlszene aus der Rolle des Sir Mordred einen atemberaubend eindringlichen Hamlet-Monolog. Rainer Furch gibt dem Teufel Gründgenssche Tiefenschärfe. Brigitte Urhausen zeigt in ihren drei kleinen Rollen einmal mehr, dass sie für klassische Rollen (wie erinnern uns gerne an Gretchen ) prädestiniert ist. Jan Henning Kraus (schon die Vornamen sind Theater- Verpflichtung) als Sir Gawain setzt die in der Rolle angelegte moralische Integrität glaubhaft um, last not least der obermusikalische Harald Pfeil als Sir Segramur, der sich nahtlos in das überzeugende Ensemble einreiht.

Es gibt, Stücke, die muss man nicht ganz verstehen. Oder nach erzählen können. Die einfach wirken, anstoßen, ansprechen. Sie werden lachen, Ihnen wird das Lachen im Mund ersticken. In Kaiserslautern wird mit dieser Inszenierung gerade ein Stück Theatergeschichte geschrieben. Seien Sie dabei!

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Frank Herkommer

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