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Die doppelte Oper: Don Giovanni-Kritik für WILLI

05.10.2009

Wie man eine Oper für unterschiedliches Publikum zwei Mal bespricht, zeigt die WILLI-Kritik von Frank Herkommer. Unten die opernnetz.de-Kritik zum Vergleich

Mein starkes Stück: Don Giovanni

Aufreisser

Neunzehnter September, Saisonpremiere am Pfalztheater. Endlich! Und gleich ein Knaller: Don Giovanni, Mozarts große Skandaloper. Vergiss König Salomo, der mit 1020 Frauen verheiratet war. Alleine in Spanien beglückt Don Juan,wie sein O-Name lautet, dieser „äußerst zügellose Edelmann“ 1003 Vertreterinnen des offensichtlich gerne schwach werdenden Geschlechts. Auf seine Anweisung hin alle fein eingetragen ins Register seines Dieners Leporello. Dazu kommen 640 in Italien, in Deutschland immerhin noch 231, nur 100 in Frankreich (wenn das kein Kompliment für unsere deutschen Mädel ist!), auch 91 Türkinnen legt er flach (das war halt vor der islamischen Restauration, die die sexuelle Befreiung der Frau dieses Glaubens um mindestens 100 Jahre zurück geworfen hat). Macht summa summarum 2065. Bis dato. Don Juan hält es mit den alten Römern: Variatio delectat. Im Winter treibt er es lieber mit den Fetten, im Sommer mit den Schlanken, die Alten nimmt er als Zählkandidatinnen mit, an den Brünetten lobt er die Ausdauer, Deflorieren ist seine besondere Leidenschaft. Alles was einen Rock (nicht mehr lange) anhat, ist seiner Aufmerksamkeiten sicher. Der sprichwörtliche Aufreißer.

Die Mutter aller Mozartopern. Musikalisch vom Feinsten. Wenn GMD Uwe Sandner in der einführenden Matinee über die Musik schwärmt, kommt seine Sprache an Grenzen. Und das will etwas heißen bei seiner Eloquenz. Einer, dem man stundenlang zuhören möchte, wenn er Musik erklärt, wenn er Musik lebt als Dirigent. Auch an diesem Abend ein exzellentes Dirigat. Dessen Faszination sich keiner im ausverkauften Haus entziehen kann. Alleine das Orchester des Pfalztheaters unter seiner Leitung ist es wert, sich mehr als einmal diese Oper anzuhören.

Und anzuschauen. Schauspieldirektor Thomas Krauß wagt sich zum ersten Mal an die Regie einer Oper. Da muss man nicht nur, wie schon oft unter Beweis gestellt, etwas vom Schauspielen verstehen, da heißt es, die zueinander passenden Stimmen auszusuchen, Musikverständnis an den Tag zu legen, mit Sängerinnen und Sängern respektvoll und sachkundig umzugehen. Und vor allem eines zu schaffen: Mit der Regie dem Stück zu dienen, es nicht zu benutzen, um sich selbst als klüger als Mozart und sein Stückeschreiber Lorenzo da Ponte darzustellen. Würde Krauß der Versuchung widerstehen können, dem Spiel so viel Eigendynamik zu verleihen, dass die Musik dabei in den Hintergrund treten würde? Er konnte! Seine exzellente Personenführung überlagert nicht, sie pointiert. Krauß entfesselt bei seinem Ensemble geradezu überschäumende Spielfreude.

Um gleichzeitig eigene Akzente zu setzen. Die Figuren auszuleuchten, nach innen. Der „gute“ Mann, Frauenversteher Don Ottavio, der so gerne Donna Anna heiraten (und endlich mit ihr ins Bett gehen) würde, dem die Hand ausrutscht und der Penis notzüchtigend rein, und Krauß (sicher im Einverständnis von Wolfgang Amadeus) den Frauenaufreißer in jedem Hetero. Der diskrete Charme der Bourgeoisie, wenn Donna Anna kein Wort verliert über häusliche Gewalt und Vergewaltigung. Ein faszinierendes Bühnenbild von Thomas Dörfler, wo das Leben sich als Aufreißer erweist. Wände und Decke aus Packpapier, auf Latten gezogen, durch die das Unerwartete jederzeit einbrechen kann. Wenn Donna Elvira, halb auf Rache aus, halb ihm hörig, durch die Decke in das Leben des Don Giovanni einbricht. Karl-Heinz Christmann, längst ein Name auch außerhalb von Kaiserslautern, wirft seine meisterlichen Videoeinspielungen auf die dünnen Wände.

Und wenn Ihnen alle diese Argumente nicht genügen, dann sprechen die Sängerinnen und Sänger für sich. Eine Stimme schöner als die andere. Im Stenogramm: Tobias Scharfenberger als Don Giovanni. Ergreifend, wenn er das Bereuen angesichts des Todes verweigert. Schön in Erscheinung und Stimme. Alexis Wagner als Komtur (und damit Tod) : Seine mächtige Stimme lässt dich glauben, vor dem Jüngsten Gericht zu stehen. Barbara Dobrzanska überzeugt in der Rolle der Donna Anna. Eine wunderschöne Stimme, die alles kann, von lyrisch bis dramatisch. Adelheid Fink als Donna Elvira, unser Sopranstar, unglaublich präsent und stimmgewaltig. Ins Spielen verliebt. Den pummeligen, verklemmten Don Ottavio mit zurückhaltender Stimme ( dabei so ansprechend!) Reto Raphael Rosin. Die Rollenbesetzung eine Meisterleistung von Thomas Krauß. Alban Lenzen in der Rolle des Masetto, eifersüchtig und gewaltbereit. Mit einer unerhört männlichen Stimme. Ideales Gegenüber in der Rolle der erotischen Frau Arlette Meißner als zauberhafte Zerlina. Wenn sie verführerisch mit dem Hintern wackelt, entdeckt mancher Mann im Parkett den Don Juan in sich. Morgan Moody, der geniale Darsteller des Leporello. Wie er singt und spielt, bringt den Saal zum Toben.

Also: Reingehen und sich verzaubern lassen (auch von den pfiffigen, phantasievollen Kostümen von Ursula Beutler).

Ihr Kulturbeutel

Frank Herkommer


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