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Mein starkes Stück: Die 39 Stufen - 4 and a half 4 Hitchcock - der Blockbuster am Pfalztheater Kaiserslautern

03.05.2010

Erbarmungsloser Angriff auf das Zwerchfell: Slapstick vom Besten beobachtet Frank Herkommer für das Willi-Magazin in seiner Kolumne "Mein starkes Stück"

4 and a half 4 Hitchcock

Die 39 Stufen. Spionagethriller. 1935 gedreht, als dem angelsächsischen Kinobesucher mit xenophober Grundstimmung noch der Atem stockte angesichts der realen Gefahr von Adis und Josephs Agenten. Als man noch Jahre brauchte, um Enigma ihr deutsches Geheimnis zu entreißen, was Hackern heute nur ein müdes Lächeln abgewinnen könnte. Ein erneuter Waffengang würde dieses Mal in der Luft entschieden werden. Common sense anno 35. Wer die Abwehr knackt, das war den Kontinental- Verächtern klar, hätte freien Flug, von London bis Coventry, das sprichwörtliche Bombenwetter vorausgesetzt. Auch ohne V 1. Stoff für den Meister des Grusels. Leinwand frei für neun tragende Rollen, Brot und Spiel für mindestens ebenso viele Hauptakteure.

Kaiserslautern. 75 Jahre und eine Endniederlage später. Werkstattbühne. Ein roter Raffvorhang mit Schabracken und Quastenbommel, zwei Proszeniumslogen, London, Queens Theatre, mitten in der Pfalz. Absolutely British. Wie alles, was Elke Schlottermüller liebevoll auf die intime Bühne bringt, ob Kostüme oder Requisiten. Ob very english oder straight scotish. Wenn aus drei Kofferkisten, den guten alten trunks, ein Zug mit mehreren Abteilen vor dem geistigen Auge des Betrachters entsteht. Auf dessen Dach dann zum Szeneabschluss eine wilde Verfolgungsjagd, erfolgreich suggerierte Höhenangst bei Null Meter achtzig. Zwei Leitern, und die tollkühnen Männer in ihrer fliegenden Kiste eröffnen das Feuer auf den flüchtigen Hannay. Eine Tür, die durch ein ganzes Labyrinth von Zimmern und Fluren führt, das Wort Drehtür bekommt einen überraschenden, neuen Sinn. Schattenspiele und Scherenschnitt, Ihr obligater kleiner Auftritt unter Monstern, Mr. Hitchcock!

Vorhang auf. Für den erfolgreichsten Angriff auf die Lautrer Lachmuskulatur seit „Shakespeares sämtliche Werke leicht gekürzt an einem Abend“. Bis zur bedingungslosen Kapitulation des begeisterten Publikums. Seit Monaten ausverkauft. Kein Wunder bei der Pointendichte, den Camouflageattacken, den Überraschungsmomenten, der Musikpsychologie, dem aberwitzigen Tempo, das Anatol Preissler mit seiner Inszenierung anschlägt. Vier Akteure für neun, gefühlte zwanzig, die sich an Spielfreude gegenseitig überbieten. Rollenwechsel mit einer Halbdrehung, zwei Gesichter in einer Szene, selbst das Kostüm längs geteilt. Kehlkopfakrobatik für Henning Kohne und Markus Kloster, Lautrer Textmarathon für alle.

Irre komisch nicht nur die Zugszene auf dem Weg nach Norden, wenn Kohne und Kloster in Damenwäsche machen, in einem Abteil mit dem Kimble der frühen Jahre, Dominique Bahls, Hannay in allen Lagen, der helle Flanellanzug sitzt wie eine zweite Haut, eben noch Witze reißend, über die nur ihre beiden Erzähler die vor der Bühne ansteckend lachen, um jetzt blitzschnell zu Zug durchsuchenden Bobbies zu mutieren, um durch Mützenaustausch und Diskantstimme zwischen frechem Zeitungsjungen und rauchendem Miedermann, warmely affektiertem Schaffner und männlich bestimmtem Polizisten zu wechseln. Wenn ein Fensterrahmen zur Herausforderung Kohnescher Leibesfülle wird, ein Stetson zum Lenkrad für den Killeragenten Kloster. Das Publikum tobt, ante portas die beiden Trenchcoatmörder mit Kunstlichtzigarette und transportabler Straßenlaterne, Klischee und Comic. Slap stick und bester Boulevard. Lautmalerisch ausgedrückte Kollateralgeräusche- boing, tschupp, pschsch, schon läuft der innere Film ab. Dann wieder K und K als Bauchladengirls, die im Publikum ihre kandierten Äpfel anbieten. Markus Kloster kann gar nicht so klein sein, wie er oho ist. Eingeknickt als Mr. Memory, die Hand an der angestrengten Stirn, wenn er die einstudierte Endlos- Formel aufsagt, Hirnakrobatik in höchster Vollendung, ganz ohne Souffleuse. Und jeder im Parkett hält den Atem an. Dann wieder berlinernder verständnisvoller Milchmann, der Mitmann Hannay aus der Patsche hilft. Niemand stirbt so schön wie der doppelte Henning Kohne. Womit wir bei der halben Rolle zusätzlich wären. Aber das sehen Sie sich am besten selbst an. Rechte Proszeniumsloge. Genauso umwerfend komisch als Marthe zur Ehre gereichende Wirtin, die ihren schottenberockten Göttergatten auf Händen trägt, als bigotter Farmer, ick snack platt, unter dessen frommer Fassade eine mörderische Wut brodelt. Großes Theater!

Womit wir auch bei dem begeisternden Dominique Bahls und der zauberhaften Marion Fuhs wären. Wenn er sich unter der Leiche auf seinem Schoss wie ein Limbotänzer heraus windet, sie selbst als Leiche höflich bleibt, das Bein hebt, um Platz zu machen. Wenn sie das Ce- Ha mit gutturaler Härte heraus presst, im engen Kostüm schön wie eine russische Adlige. Dann wieder blondes Bauernmädchen, das von lackierten Fußnägeln träumt, die sich an Dominiques Laufwerkzeugen reiben dürfen. Wäre da nicht der böse Ehemann. Dem sie den Hering auf den Teller klatscht, während der Fisch für Hannay auf das Geschirr zu schweben scheint. Dann wieder die naive Spröde, die ungern und unfreiwillig das Bett dessen teilt, den sie zwei Mal verrät. Zwei, die spürbar an sich halten müssen, um nicht selbst in das große Lachen mit ein zu stimmen. Ein Bals, der den köstlichen Klamauk hinreißend mitmacht, um dann halb Bond, halb Agentenromeo, aufblitzen zu lassen, um was es geht: Eine große Charakterrolle, eine von 4 and a half 4 Hitchcock.

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Ihr Kulturbeutel Frank Herkommer

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