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19.4.2024 : 5:49 : +0200

Schnaps oder/und Tod Die Katze auf dem heißen Blechdach am Pfalztheater Kaiserslauter

02.04.2010

Schauspielkritiken von Frank Herkommer gibt's nur im WILLI- und auf seiner homepage. Lesen Sie hier den Beitrag in der Aprilausgabe 2010. Ein Stück, das zu sehen sich lohnt

Mein starkes Stück: Die Katze auf dem heißen Blechdach


Pfalztheater Kaiserslautern

Großes Haus

Premiere: 20. März 2010

Schnaps und/oder Tod


Ina Anett Keppel, Jahrgang 1979. Regie. Walter Schütz sieht genauso jung aus (trotz Männermalus). Bühnenbild. Und Isabel Graf, Jahrgang 62. Kostüme. Küken! Was wissen die noch von Paul Newman und Liz Taylor!? Ur- Maggie und Ur-Brick. Sie rollig wie eine Mieze, er vor dem Absturz, wie eine Katze auf glühend heißem Blechdach. Was von „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“? Mit ihren mörderischen Psychoschlachten, die eine ganze Generation zu Ehe-Skeptikern gemacht hatte? So dass es ein Wunder ist, dass es Euch drei, Ina Anett, Walter und Isabel, überhaupt gibt. Was von Szenen einer Ehe? Tennessee Williams, Edward Albee, Ingmar Bergmann die Dreifaltigkeit der Geschlechterkämpfe. Was sich Theaterchef Kraus bei der Zusammensetzung des Jungteams wohl gedacht hat? Gedanken auf dem Weg zum Reitmeierhügel.

Das Bühnenbild: Rechts die Bar, Tennessee-Whisky en masse, nomen est omen, vermutlich Maisbourbon. Muss magenverträglich sein, so wie sich Brick das Zeug rein schüttet. In der Mitte die Flügeltür. Den Schlüssel hat Mama- so ist das eben tiefenpsychologisch. Links das Bett ohne Geschichten, die verhangene Tür zur Veranda, für lauschende Mütter ebenso ideal wie für Gören, die keinen Respekt vor Onkel und Tante zeigen und ihrer Geburtstagslaune freien Durchlauf lassen. Und auch Herr Pastor, der dem Begriff Sterbegeld eine neue Bedeutung verleiht ( für Lateiner: ubi pecunia ibi ecclesia), weicht gerne ins Unverbindliche auf die Freiluftbühne aus, wenn die Luft drinnen dicker zu werden droht. Man sieht sie da draußen nicht und hört sie doch. Alle Augen auf das Wesentliche. Okay, deine Jugend, Schütz, sei dir verziehen! Glänzende Arbeit.


Mein Gott, man muss schon blind, asexuell oder stockschwul sein, wenn man Magie in ihrer erotischen Kleidung nicht äußerst anziehend findet. Dessous, die einer Dolly Buster zur Ehre gereichen würden. Big Mama und Big Daddy schick heraus geputzt, immerhin feiert er seinen 65. Geburtstag. Der angepasste Sohn in ebensolchen Klamotten, der Pastor mit Collarhemd, wird wohl ein Lutheraner sein. Und die geldgeile, wie immer schwangere Wurfkatze Mae eine graue Maus. Hoch erotisch der Sexverweigerer Brick. Oh Mann, Maggie, das muss wehtun! Sein gestählter, meist nackter Oberkörper, definiert wie Henry Maske in seinen besten Jahren, unten die üppige Spekulationen nährende Schlabberhose. Okay, okay, deine Jugend sei dir auch verziehen, Isabel. Vorzügliche Arbeit!


Bühne frei! Ina Anett Keppel hat ein Ensemble zusammengestellt, das es schafft, alle Konflikte und Konstellationen glaubhaft auf die Bühne zu bringen. Andrea Kleven. Jung, sexy, zielorientiert. Dafür hat sie die Unterklasse nicht hinter sich gelassen, um an den homoerotischen Skrupeln ihres Mannes zu scheitern. Damals galt noch: Kein Sex, kein Baby. Künstliche Insemination unbekannt. Kein Baby, keine firmendynastische Linie, die über sie führt. So viel Land und Mäuse! Auch wenn man anfangs nicht alles versteht, man versteht sie, und darauf kommt es an. Natürlich bekommt sie schnell den Raum und letztendlich die Lage in den Griff. So sehen Siegerinnen aus! Im Stück wie als Schauspielerin. Ihr Partner Michael Klein. Der, bei dem alle Konflikte zusammen laufen. Wenn er dem Vater die Wahrheit über seine Krebserkrankung wie aus Versehen mitteilt. An der Sprachlosigkeit zu verzweifeln droht. Wenn der Bruder seine Eifersucht und den Neid für einen Augenblick nicht unterdrückt. Wenn die Schwägerin versucht, ihn moralisch unmöglich dastehen zu lassen. Wenn die Mutter ihren Liebling nicht loslassen will. Stoisch und verzweifelt. Klein gelingt es, sowohl den Vater- Sohn-Konflikt als auch Schuldvorwürfe an Maggie und Selbstanklagen in gleichwertiger Emotionalität zu verkörpern und der Vielschichtigkeit des Stückes Ausdruck zu verleihen. Antje Weiser beeindruckt als Schwiegertochter Mae mit ihrer subtilen Interpretation der geschäftstüchtigen Prototypin Amerika Süd.. Die religiöse Bigotterie bekommt mit ihr ein apartes Gesicht. Sie erweist sich als die wahre und ebenbürtige Gegenspielerin Maggies. Wunderbar, wie Jan Henning Kraus den Bruder Bricks, den perfekten subalternen Ehemann Gooper darstellt. Große Kunst, den Unscheinbaren zu mimen mit der gekränkten kleinen Seele. Susanne Ruppik, Charakterdarstellerin von Format, spielt die nur scheinbar naive Big Mama, die alles daran setzt, den Schein zu wahren. Die ausblendet, was sie nicht sehen möchte und ihre eigene (heile) Welt konstruiert. Großes Theater bietet auch ihr Pendant, Big Daddy. Männlich, vieles blieb ungelebt, überraschend verständnisvoll gegenüber dem verkappt schwulen Sohn. So wahrheitsfähig, dass er der Wirklichkeit am liebsten davon liefe. Eine Paraderolle für Reinhard Karow. Schmierig und mit einem taktischen Verhältnis zur Nächstenliebe Peter Nassauer als Reverend Tooker. Die Schmunzler auf seiner Seite. Oliver Burkia, der Herr Doktor, schweigend omnipräsent, bis er seine kleine Rolle gekonnt sprechen darf. Die Kinder nicht zu vergessen: Dixie wird abwechselnd gespielt von Alicia Dengel und Vanessa Wagner, die Rollen von vier weiteren Kindern werden verteilt auf Nada Gabelmann, Anna Sender, Elias Kespohl, Elias Marx und Jannik Wagner. Eine echte Rasselbande, die selbst Maggie zum Nachdenken bringen sollte.


Eine beeindruckende Regieleistung ( zu der auch Axel Gade als Dramaturg beigetragen hat). Eine beeindruckende Ensembleleistung. Ein Stück, das es verdient, vor vollem Haus aufgeführt zu werden. So voll wie Brick. Dreißig Drinks waren es mindestens an diesem Abend.


Ihr Kulturbeutel


Frank Herkommer


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