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Hilfe-Weihnachten

01.12.2007

Traue nie einem Versprechen, das du selbst bereits gebrochen hast. An diese Weisheit erinnert Frank Herkommer in seiner Weihnachtssatire für das Magazin Willi

Hilfe- Weihnachten!


Vier nicht immer ganz ernst gemeinte Ratschläge zur Krisenprävention


  1. Die Nulloption oder: Traue keiner Abmachung, die Du selbst schon mal nicht eingehalten hast!


Dieses Jahr schenken wir uns wirklich gegenseitig nichts. Wir beiden haben doch längst alles. Und wenn wir uns doch mal was schenken wollen, dann lassen wir uns bestimmt nicht von Weihnachten den Zeitpunkt vorschreiben. Abgemacht?“- „Abgemacht!“

Es ist Heilig Abend. Die Kerzen am Baum brennen, O du fröhliche erklingt, die Kinder werden wie gewohnt beschert. Und dann strahlt Dein Dir angetrautes Weib, holt das liebevoll verpackte Geschenk aus dem Versteck hervor und erklärt dir mit leuchtenden Augen: „Ich weiß doch, wie sehr Du dieses Parfum magst und dass Du zu geizig bist, es Dir selbst zu kaufen. Hat nix mit Weihnachten zu tun, Schatz, der reine Zufall, dass ich Dir das heute schenke. Hätte ich auch auf Januar verschieben können, wenn Dein Kölnisch Wasser nicht gerade zu Ende gehen würde. Guck mal, die Großpackung. Mit Sprayer, so wie Du es magst!“


Ja, Du hast sie ernst genommen, die Abmachung. Kein Notgeschenk, das Du im letzten Augenblick hervor zaubern könntest. Sie sieht Dich erst lauernd an, dann ungläubig bis fassungslos, dass Du ihr wirklich nicht einmal für fünf Euro eine Überraschung besorgt hast. Und wenn es ein Strauß Blumen mitten im kalten Winter gewesen wäre. Du hörst die Weihnachtsfalle erbarmungslos zuschnappen. Wenigstens an eine Extrawurst für den Hund hast Du gedacht. Du hörst noch ein Gemurmel, irgend was wie Hund müsste man sein in diesem Haus, bevor Deine Dir Angetraute unter verdächtigem Nasehochziehen in die Küche enteilt.

Na denn, frohe Weihnachten und schöne Bescherung!


2. Die Limited-Option oder: Größe ist immer relativ

Auch diese Vereinbarung könnte zur starken Eintrübung der innerfamiliären Weihnachtsstimmung

beitragen. „Nur eine Kleinigkeit!“ - „Versprochen!“

Dass aber der Juwelier gerade jetzt nach vierzig Jahren schließt und die lange ersehnte Uhr zum halben Schnäppchenpreis veräußert, wer hat das schon vorher wissen können? Du kaufst sie, in der Gewissheit, damit den absoluten Renner für Heilig Abend zu haben. Sie packt aus und wird aschfahl. Spätestens, als Du den 10 Euro-Kalender in Händen hältst, weißt Du, warum. Jetzt weicht alle Röte aus Deinem Gesicht. Mimikry der unangenehmen Sorte.

Sie ist doch auch an dem Laden jeden Tag vorbei gelaufen. Genauso beim Herrenausstatter mit den tollen Wir- schließen- sie- profitieren -Preisen. Und ihre Weihnachtsgratifikation ist satte 1000 Eure höher als Deine. Zehn Euro! Außerdem suche ich mir meine Kalender schon gerne selbst aus. Du wüsstest einen guten Vorschlag, lässt sich Deine brüchige Stimme vernehmen, untrügliche Vorbotin depressiver Weihnachtsverstimmungen, wo die zwölf schönsten Oldtimer ihren Platz finden könnten: Auf dem Gästeklo.

Jetzt kommt richtig Freude auf- tolles Fest!


  1. Väter, höret die Signale oder: Tausche Überraschung gegen Wunsch


Das war eine schöne Adventsandacht. So überzeugend, wie die Pfarrerin von der spirituellen Dimension des Schenkens gepredigt hat. Vom Einfühlungsvermögen, was braucht mein Nächster, was tut ihm gut, von der Durchbrechung des Gewohnten in dieser nüchternen materiellen Welt. „Nehmen Sie den Beschenkten ernster als er das selber tut!“ Ja, spirituell will ich sein an diesem Fest des Friedens, bei soviel alltäglicher Profanität. Pfui über alle phantasielosen Geldumschläge! Unsere Tochter Susanne wird im Januar achtzehn. Da sollte man langsam mit dem Aufbau einer eigenen Bibliothek beginnen. Ich besorge ihr ein mehrbändiges Literaturlexikon vom Feinsten, kostet mich glatte fünfhundert Euro. Ihre spirituell erleuchteten Augen werden mich dafür mehr als entschädigen.

Es ist Heilig Abend. Trotzdem verhält sich unsere Tochter, als ob sie für Spirituelles ausgerechnet heute nicht wirklich empfänglich wäre. Tränen treten in ihre so schönen Augen, als sie hört, wie mir mein angetrautes Weib zu raunt: „Und der Führerschein? Es fehlen genau Deine 500. Den Rest haben meine Eltern und ich zusammen getragen. Wir hatten doch darüber gesprochen!“ Wie zufällig bringt Susanne nun das Thema auf Auszug, der bei einer 18jährigen ja wohl überfällig sei. Die Schwiegereltern mischen sich ungefragt ein, betonen, dass sie meine Frau ja schon immer auf meine Oberflächlichkeit und soziale Kälte hingewiesen, überhaupt vor dieser Ehe gewarnt hatten. Im Übrigen gedächten sie, lieber ihre Dosenwienerle zu Hause zu verspeisen. Man wolle uns ja nicht arm fressen, wo es doch offensichtlich am Nötigsten fehlt. Weinend zieht sich mein mir angetrautes Weib in die Küche zurück. Erst als ich einen Scheck über 500 Euro ausstelle, können die Schwiegereltern zum Bleiben gebracht werden. Susanne will ihre Auszugspläne vielleicht noch einmal überdenken. Ihr Ton bleibt unerbittlich vorwurfsvoll. Am Tisch sitze ich von allen Gesprächen ausgeschlossen, wie ein Paria, und niemand sieht mir beim Weihnachtstoast in die Augen. Nächstes Jahr werde ich wieder unspirituell sein. Das schwöre ich mir.

Auf Weihnachten!


  1. Weihnachtsbäume sind etwas für Familien mit kleinen Kindern


Darin waren wir uns alle einig. Wir, das sind mein mir angetrautes Weib, Tochter Susanne und Sohn Thomas, der sich ganz sicher ist, mit seinen sechzehn mindestens so erwachsen zu sein wie seine große Schwester. Schluss mit Lametta und Kugeln, Kerzen und Baumständer, dem ganzen Kinderkram! Na, wenn das meine Kinder schon sagen!

Erster Advent: Susanne und Thomas gehen überraschend auf den Weihnachtsmarkt. Kein Stollen und Tee zu Hause wir all die anderen Jahre? Ach, Papa, auf dem Stiftsplatz, der herrliche Weihnachtsbaum, da kommt wenigstens echte Stimmung auf! Höre ich richtig?

Zweiter Advent: Thomas trägt seit vier Tagen diese alberne rote Nikolausmütze mit der weißen Bommel. Auch zuhause, selbst beim Essen. Ja ist denn schon wieder Glühwein- Hour? Unser Hand bimmelt sich durch die Wohnung. Susanne hat ihm ein Weihnachtsbändchen mit Glöckchen umgebunden. Armer Hund! All die Jahre gab es bei uns am zweiten Advent Rindsrouladen. Dieses Jahr wünschen sich die Kinder Grüne Nudeln. Oder Grünkohl. Oder Spinat. Oder Rosenkohl. Oder Broccoli. Hauptsache Grün. Ich bin leicht irritiert.

Dritter Advent. Thomas schließt seit neuestem sein Zimmer ab, wenn er es verlässt. Als ich vorbei gehe, riecht es so seltsam. Irgendwie nach Harz, Wachs und Nadeln. Ob das etwas zu bedeuten hat? Der nächste Schock: Ob wir nicht spazieren gehen könnten, in den Wald, aber bitte kein Mischwald. Nur Tannen. Seit sieben Jahren haben die beiden sich jeder Anfrage unsererseits entzogen. Langweilig! Wir sind doch keine Babys mehr, die mit ihren Eltern spazieren gehen! Also gut. Schnee liegt auf den Tannenzweigen, als die Sonne durchbricht und ihre Strahlen die schweren Äste streifen. Sieht es nicht aus wie Weihnachten, schluchzt Susanne und wirft sich ihrer Mutter in die Arme. Thomas drückt einem Schneeball sämtliches Wasser aus dem Leibe und schleudert ihn wortlos gegen einen Tannenstamm.

Vierter Advent: Noch ein Tag bis Heilig Abend. Es wird doch noch irgendwo ein Bäumchen zu ergattern sein?! Mickrig, schäbig, mit großen Lücken, unverschämt teuer, das ist unser Weihnachtsretter. Als wir ihn zuhause aus dem Netz befreien, kostet ihn das mindestens die Hälfte seiner Nadeln. Ach, Papa, tröstet mich meine Tochter, Du hast ja auch schon genadelt und trotzdem haben wir dich lieb!

Nächstes Jahr werde ich wieder rechtzeitig auf den Markt gehen. Da weiß man, was man hat. Der frühe Förster fällt den Baum. Vielleicht kann ich dann Thomas dazu bringen, wenigstens beim Essen diese blöde Mütze abzusetzen.

Heilig Abend. Wann hatten wir eigentlich zum letzten mal O Tannenbaum miteinander gesungen und dabei feuchte Augen bekommen? Was für ein herrlicher Heilig Abend!


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