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Protokoll eines Versagers

10.01.2008

Was aus meinen Versprechen Silvester 2006 für das Jahr 2007 wurde

Satire von Frank J. Herkommer

Es geht doch nichts über Zahlensymbolik! Weil wir zehn Personen waren, vor knapp einem Jahr am 31. Dezember,wie immer im geliebten Allgäu, durfte jeder einen Zettel vorbereiten, auf dem zehn Versprechen für 2007 festgehalten waren. Think positive! Verpflichte dein Selbst! Die Nacht der 100 erfüllbaren Wünsche, optimistischer kann man ja wohl kaum ins Neue Jahr rutschen. Feierlich nach dem Glas Mitternachtschampus vor versammelter Mannschaft vorzutragen, dann den Umschlag verschließen, mit nach Hause nehmen und ihn erst Mitte Dezember wieder öffnen. Der Cheque: Wo erwies ich mich als konsequent, zuverlässig und willensstark? Für einen Charakterprotz wie mich, einen Titanen der Selbstdisziplin, wohl eine der leichtesten Übungen.


Elfeinhalb Monate später. Mir zittern doch leicht die Hände, als ich den Umschlag öffne. So viel passiert, über´s Jahr, keine Ahnung, was ich an guten Vorsätzen mit in 2007 genommen habe. Schaun wir mal!

Erster Wunsch: „Sei lieb zu deiner Seele! Jede Woche ein Strauß Schnittblumen, janusköpfiger Tribut an Vergänglichkeit und Schönheit.“ - Sprachlicher Schwollkopf, fährt mir unwillkürlich durch mein Hirn. Und seltsame Prioritäten. Hab ich? Natürlich nicht! He, ich weiß nicht, wie ich meine Abrechnung für Gas und Strom verkraften soll. Wenn ich tanke, treten hunderte Schweißperlen auf meine Stirn, Milchprodukte sind seit Mitte des Jahres so weit wie möglich vom Speiseplan gestrichen und da faselt mein besseres Ich von Schnittblumen? Und die Naivlinge haben letztes Jahr auch noch geklatscht, als ich den Wunsch vorgetragen habe...

Zweiter Wunsch: „ Sei lieb zu deiner Leber! Trinke nur soviel Alkohol, wie deiner Gesundheit zuträglich ist!“ Es beunruhigt mich, dass dieser Wunsch gleich an zweiter Stelle kam. Hat das was zu sagen? Und war der Applaus damals meiner Mitspieler nicht ein wenig zu übertrieben? Jetzt fällt mir nur ein Witz ein: Ich trinke nicht mehr. Kunstpause. Blick in das erstaunte Gesicht meines Gegenübers. Dann: Aber auch nicht weniger. - Haben Sie ein Problem mit Alkohol? Nur ohne. - Trinke Sie viel? Nein, das meiste verschütte ich. - Irgendwie verspüre ich gar keine Lust, mich mit diesem Wunsch länger auseinander zu setzen. Schnell einen Cognac. Der nächste, bitte!

Dritter Wunsch: „Sei lieb zu deinen Hausnachbarn!“ - Ja, Kruzitürken, sind die denn lieb zu mir? Techno auf Zimmerlautstärke, aber leider verstehen die mein drei Stockwerke tiefer liegendes Zimmer darunter. Irgend ein Assi schmeißt regelmäßig Plastiktüten in den Bioeimer. Und welcher Trampel poltert nachts die Treppe runter, als sei Dschingis Khan dabei, unser Haus zu stürmen? Mit denen rede ich kein gutes Wort mehr!- Wünsche hatte ich, das reinste Poesiealbum!

Vierter Wunsch: „Sei lieb zu den anderen Verkehrsteilnehmern!“ Jetzt muss ich aber lachen! Als ich neulich den Hut und die Klopapierrolle unter dem Wackel- Dackel sah, schwante mir nichts Gutes. Dieselmercedes, passt. Und dann noch KIB als Kennzeichen. Links. Einen Kilometer. Drei. Meine Lichthupe imponiert ihm kein bisschen. Jetzt müsste ich eigentlich sein billiges Kölnisch Wasser, wahrscheinlich nur den Achselschweiß riechen können, so dicht sitze ich ihm im Nacken. Das Schwein bremst im Stakkato an. Ich steige in die Eisen. Jetzt reicht´s! Ich halte mich an das Rechtsfahrgebot und überhole ihn mit lässigen 200 Stundenkilometern. Oh, Opa kennt den Stinkefinger! Anzeigen sollte man den Kerl! Nein, es kann der Friedlichste nicht frei fahren, wenn ihn der böse Autobahnnachbar nicht lässt. - Sei´s drum. Von gescheiterten Vorhaben sollte man sich eben so wenig wie von nötigenden Linksfahrern zu lange aufhalten lassen. Ob ich zur Halbzeit wenigstens ein Neujahrsversprechen gehalten habe? Mal schaun!

Fünfter Wunsch: „ Sei lieb Zur Gartenschau! Wenn keiner hin geht, ist sie bald hin.“ Upps! Also, mit der Tulpenschau soll ich ja wirklich etwas verpasst haben. Wer konnte denn ahnen, dass der ganze April so heiß bleiben würde? Mitte Mai, mein vorgesehener Termin, da war die ganze Pracht schon verblüht. Ärgerlich, aber nicht mehr zu ändern. Rasen habe ich auch hinter dem Haus. Dafür bin ich nicht mehr hin. Japanischer Garten? Ich denke, da wird noch erweitert. Teehaus und so. Solange warte ich. Wenn ich den vollen Preis zahle, will ich auch die ganze Palette dafür haben. - Soviel zu Vorhaben fünf. Soll doch der Zinßmeister gucken, wo er das Geld her kriegt! Wie auch immer, gut, dass ein Spiel zwei Halbzeiten hat:

Sechster Wunsch: „ Sei lieb zu deinen ausländischen Mitbürgern! Der innere Friede unseres Landes braucht Millionen Unterstützer. “ In mir kocht sofort wieder die Wut hoch. Der nette Balkantaxifahrer, der bei Rot über die Ampel fährt und uns nach der Beschwerde via Handy bei der Zentrale einfach mitten in der Nacht raus wirft. Nicht ohne alle Deutschen als Nazis beschimpft zu haben. - Ich habe souverän reagiert. Indem ich ihn herzlich ausgeladen habe aus meinem Land. Seinem Nazivergleich den Scheißausländer entgegen gebrüllt habe. Nein, ich will zu niemandem nett sein, nur weil er Ausländer ist. Nicht 2007, nicht 2008. Nur wenn er sich entsprechend benimmt. Kein Multi-Kulti, wo keine Kultur anzutreffen ist. Bin ich jetzt Nazi?

Siebter Wunsch: „Sei lieb zum Pfalztheater! Ein Volk ohne Kultur endet in der Barbarei.“ Boo, da hab ich aber dicke aufgetragen! Könnte glatt von einem Politiker stammen. Ehrlich, jedes Mal, wenn ich ein Stück sehen oder hören wollte, war es nicht mehr auf dem Spielplan. Könnten die nicht wie bei Starlight Express zwanzig Jahre dasselbe spielen? Dann würde ich bestimmt rein gehen. In den Express wäre ich auch schon, wenns er nicht in Bochum gespielt würde, sondern hier. Abo? Ach, das ist ja so verpflichtend. Nur weil Kaiserslautern qualitativ mit München und Berlin mithalten kann. Und dann, die modernen Sachen, Regietheater oder wie das heißt. Neulich habe ich mit einem Musikkritiker gesprochen. Arroganter Kerl. Ich hab ihm gesagt, in einem alten Stück will ich nichts von Heute sehen. Ich gehe nur wegen der guten Musik hin, die ich hören will. Wissen Sie, was der zu mir gesagt hat? Hören Sie doch Radio oder kaufen Sie sich die entsprechende Aufnahme. Frechheit! So vergeht einem doch die Lust auf Theater? Oder nicht? Was ich mir wohl als achtes vorgenommen hatte?

Achter Wunsch: „Sei lieb zu den Tieren! Drei Mal die Woche fleischfrei.“ Ja, wenn ich das Rind nicht verspeise, dann furzt es doch nur weiter in die Ozonschicht! Mein Anti-Methan-Beitrag lautet Steak. Wahre Ökologen vermindern den Tierbestand täglich durch ihr Essverhalten. Ist doch logisch, oder? Wie gut, dass unser Wissensstand hat dieses Jahr sehr zu genommen hat. Wer sprach schon vor Al Gore vom Umweltfeind Kuh? Die neunte, bitte!

Neunter Wunsch: „ Sei lieb zu deinem Geist! Führe Liste, wie viel Bücher du gelesen hast.“ Hab ich ja, bis April. Leider sind ohne Liste nicht viel dazu gekommen. Mir fallen höchstens noch drei ein. Zwei pro Monat hatte ich mir zum Ziel gesteckt. Jetzt muss ich das Telefonbuch, Grundbuch und das Sparbuch mit zählen. Puh, ich bin enttäuscht von mir. Nur falsche Ziele gesteckt, wie es aussieht. Und die zehn?

Zehnter Wunsch: „ Sei lieb zu dir! Nimm dich ernst und erwarte keine Vollkommenheit!“ Das tut gut. Es lag nicht an den Wünschen. Es lag an mir und dem Leben. Auf beides habe ich Einfluss. Immerhin, meine Silvesterwünsche für 2008 habe ich schon. Es sind dieselben wie letztes Jahr. Jetzt gehe ich mir einen Strauß Blumen kaufen, heute Abend werde ich auf alkoholfrei machen, den Jungen spreche ich bei Gelegenheit an , ob er ein bisschen leiser sein kann und erkläre ihm warum, an die Biotonne klebe ich einen Zettel: Plastik stört die Kompostierung, ich weiß ja, dass Drängeln strafbar ist und gefährlich dazu, für die Gartenschau schenke ich mir zu Weihnachten eine Dauerkarte, mein Abo im Pfalztheater reaktiviere ich die kommende Saison, bei Ausländern überlege ich mir drei Mal, ob ich Konflikte eskalieren lasse, meinen Fleischkonsum werde ich reduzieren, die Bücherliste wieder führen, und wenn ich in der Hölle lande, war wenigstens der Weg dorthin mit guten Vorsätzen gepflastert.

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