Sie sind hier: Rezensionen
27.4.2024 : 9:32 : +0200

Mein starkes Stück: Nachtvogelflug von Madeleine Giese

19.08.2010

"Lächeln und Morden" nennt Frank Herkommer seine Rezension über den neuen Kriminalroman der Schauspielerin und Schriftstellerin Madeleine Giese für das Willi-Magazin

Lächeln und Morden

Es gibt nicht viele, die davon leben können. Madeleine Giese gehört zu denen, die es geschafft haben. Sie schreibt Kriminalromane im Hauptberuf. Tod à la Michelangelo, das Cover muss es wissen, der Leser sich kundig machen lassen. Wenn er sich in die antike Welt der Pankratiasten entführen lässt,  alles ist im Kampf erlaubt, allerdings pro Runde nur eine Aktion, dem Nasenschwinger folgt als Antwort der tödliche Griff in die männliche Flanke, im Rausch zieht der Übermütige die Eingeweide aus dem Sterbenden, wird disqualifiziert und der Besiegte posthum mit dem olympischen Lorbeer geehrt. Der Mythos von Kreugas und Damoxenes, Helden so griechisch wie ihr Name, der Topos die Tragik des sich selbst besiegenden Siegers. Kreugas in Marmor festgehalten, die Skulptur ist in den Vatikanischen Museen zu bewundern, zumindest sollte sie das sein. Und schon sind wir mitten in der Geschichte, die uns die Krimiautorin  erzählt.  


Madeleine Giese, die man sich gut bei Lesungen in einem Kindergarten vorstellen kann, mordet gerne und besonders grausam. Was sie mit einem Lächeln einräumt, als kündigte sie gerade eine Kinderbibellesung an.  Man muss kein römischer Augur sein, kein staatlicher Vogelflugdeuter, um zu ahnen, auf welche martialische Weise die Opfer dieses Mal ins Jenseits befördert werden. Im nun schon fünften Kriminalroman der Saarbrückerin, seit 2002, die längst heimisch geworden ist in Kaiserslautern.

Beides trifft auf sie zu. Thomas Mann und Rainer Maria Rilke.  Der Lübecker Literaturnobelpreisträger, dem die unsterbliche Definition zu verdanken ist, dass Schriftsteller Menschen seien, denen das Schreiben etwas schwerer falle als anderen. Sie gibt  Schreibunterricht. Auf der Grundlage von Regeln, die seit Aristoteles und Cicero bekannt sind. Wie man auf die Peripetie zusteuert, wie man zu Beginn die Personen einer Handlung einführt. Mark Twains Warnung vor zu viel Adjektiven  beherzigt sie und legt sie ihren Schülerinnen und Schülern ans Herz. In ihren VHS- Kursen, am Heinrich- Heine-Gymnasium, wo sie im Rahmen eines Additum  Hochbegabten zeigt, dass Talent alleine ohne die entsprechende Technik keinen Schriftsteller macht. Eine wichtige Lektion für alle Lern- und Lebensbereiche. Was leicht daher kommt, ist auch das Produkt harter Arbeit. Wie bei ihr. Die Sieben- Tage - Woche, weil Selbstständige zu sein, selbst und ständig zu arbeiten bedeutet.

Wie auch ihr Schreibrhythmus dem des Buddenbrook - Schöpfers ähnelt: Der Vormittage gehört der Feder. Oder eben dem Laptop.  Sie ist dann mal weg, schreibt sechs bis acht Stunden am Stück, das Gehirn verbraucht in dieser Zeit mehr Kalorien als ein Bauarbeiter am Presslufthammer. Viel liest sie selbst und leidenschaftlich gerne. Wie (fast) alle Schriftsteller, auch wenn Reich - Ranicki das Gegenteil behauptet. Die berühmte Proust-Frage. Welches Buch sie mit auf eine einsame Insel nehmen würde?  Proust! Auf der Suche nach der verlorenen Zeit.  Darf sie noch zwei? Sie darf. Patricia Highsmith, Strangers on a train.  Den Nobelpreis bekam die Wahlschweizerin nur nicht, davon ist die Kollegin überzeugt, weil sie Krimis schrieb. Und dann noch Jonathan Littell, Die Wohlgesinnten. Ihr derzeitige Lektüre, damit sie die zu Ende lesen kann.  Und noch eine Proust- Frage. Wem sie im Jenseits gerne begegnen wolle. Gott. Und wem nicht? Gott. Tiefgründige Dialektik, die den Leser ermutigen sollte, Doppelbödigkeiten zu trauen, die Vielschichtigkeit zu unterstellen und Pointen nicht zu überlesen.

Rilke. Briefe an einen jungen Dichter. Wenn du das Gefühl hast, schreiben zu müssen, dann bist du ein Dichter. Madeleine ist sieben, als sie ihren ersten Kriminalroman schreibt. In fünf Exemplaren auf dem Familienmarkt, alle selbst gebunden und illustriert.  Das Theater motiviert die studierte Schauspielerin ein weiteres Mal für das gelbe Genre. Weil fast jedes Stück ein Krimi sei, mit Extremsituationen und Tabubruch. Die Welt, in die uns die Krimis von Madeleine Giese entführen wollen.

Woher sie ihre Ideen nimmt? Wie die biblischen Propheten. Sie sieht etwas im Alltag, daraus entwickelt sich die Grundidee. Dieses Mal war es ein tatsächlicher Besuch in den Vatikanischen Museen.  Bei dem Vergleich mit den Amos und Jeremias wehrt sie bescheiden ab. Sie mit ihnen in eine Reihe zu stellen, sei nun doch zu kühn. Ihre bewunderten Frauenfiguren in der Kunst? Klar, die Highsmith, sicher auch Isabel Allende, natürlich Camille Claudel.   Oh, ein Buch muss sie noch nachtragen, es ist aber auch heiß an diesem Tag, Raymond Chandler, Die simple Kunst des Mordens.

Was wäre eine Krimiautorin ohne Überraschungen, Geheimnisse und Sprünge? Sie sitzt bereits am nächsten Buch. Dieses mal kein Krimi!  Mehr wird nicht verraten.

Dann überbrücken wir die Spannung und lassen unsere Neugier umleiten auf Nachtvogelflug. Kriminalroman auf knapp dreihundert Seiten, erschienen im Aufbau- Verlag, Berlin,  das „Starke Stück“ der Madeleine Giese.

Mein „Starkes Stück“ endet ganz prosaisch: ISBN 978-3-74662610-9.

Ihr Kulturbeutel
Frank Herkommer