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Frank Herkommer in der Presse

14.10.2008

Seine opernnetz-Kritiken werden nicht nur auf vielen Homepages deutscher Musiktheater und von Weltstars zitiert. Der Diskurs in Deutschland hat ihn längst entdeckt. Ein Beitrag aus Leipzig

Leipziger Internet Zeitung veröffentlicht von: Redaktion am Dienstag, 14. Oktober 2008


Foto: Andreas Birkigt/Oper LeipzigPremiere mit Folgen: James Johnson schmeißt hin, Gewalt-Videosequenzen werden nicht mehr gezeigt. Am Mittwoch, 15. Oktober, zeigt die Oper Leipzig statt Wagners "Der fliegende Holländer“ das Ballett “Strawinsky-Projekt I“. Diese Änderung wurde nötig, da sich der Sänger der Titelpartie, James Johnson, aus der Produktion zurückgezogen hat.

Das war zu erwarten gewesen. Die Wagner-Premiere am 11. Oktober im Opernhaus war ein Desaster.

„Manch einer im Leipziger Opernhaus hätte sich gewünscht, an diesem Abend aus der geballten Faust eine Tomatenschleuder alla Milanese machen zu können angesichts der Regieleistung von Michael von zur Mühlen", schreibt Frank Herkommer im Opernnetz. „Wo waren die behutsamen Einwirker, die die berechtigte Empörung vorausgesehen hätten? Selten stand eine Opernaufführung der letzten Jahre so knapp vor dem Abbruch. Wagner ging seinerzeit für die Leipziger auf die Barrikaden. An diesem Premierenabend revanchierten sich viele Leipziger bei dem Meister."

Foto: Andreas Birkigt/Oper Leipzig
Hübschefs Irrtum natürlich: Wagner ging niemals für die Leipziger auf die Barrikaden. Und auch bei seiner Teilnahme an den Dresdner Revolutionsereignissen bevorzugte er die Aussicht auf einem Kirchturm und mied das Kartätschenfeuer. Dafür versuchten die Leipziger immer wieder, Wagner in ihrer Stadt groß zu inszenieren. 1853 schon und dann wieder mit dem großen Ring der Nibelungen in den 1970er Jahren. Zum Wagner-Jubiläum 2013 wollte man die Opern des gebürtigen Leipzigers gern in einer gültigen Inszenierungsfolge parat haben.


Aber mit dem "Fliegenden Holländer" ist das diesmal leider schief gegangen. Nicht nur das Publikum hat Michael von zur Mühlen nicht wirklich ernst genommen. Er hat auch seine Darsteller vor den Kopf gestoßen, als er zur Premiere Videomaterial einspielte, das so auch in der Generalprobe nicht zu sehen war. Die Sänger konnten gar nicht ahnen, in welchem Kontext sie auf einmal die gewaltige Liebesgeschichte darbieten sollten.

Verständlich, dass James Johnson die Hauptrolle nach der Premiere hinschmiss.
Ab den Vorstellungen im November übernimmt die Partie des Holländers der weltbekannte Bariton Wolfgang Brendel, teilt die Oper Leipzig jetzt mit. Besonders verbunden ist Brendel der bayerischen Staatsoper München, wo er 1977 zum Kammersänger ernannt wurde.

„Die umstrittenen Gewaltszenen in den Videosequenzen werden nicht mehr gezeigt, da diese nicht mit der Leitung des Hauses bis zur Premiere abgestimmt worden waren", heißt es weiter. „Die Filmeinspielungen werden deshalb auf den Stand der Generalprobe zurückgefahren."

Das sagt auch einiges über die Grenzverschiebungen innerhalb der jüngeren Regisseur-Generation. "Warum um Gottes Willen hat dem hoch begabten Team der jungen Wilden niemand im Haus gesagt, dass Gift eine Frage der Dosierung ist?", fragt Frank Herkommer zu recht. "Dass bei einer Parabel auf die Globalisierung die Bildhälfte keine Eigendynamik bekommen darf, die eine Sicht auf die Sachhälfte unmöglich macht? Warum hat niemand beschwichtigend eingegriffen und auf Jahrzehnte weiteren Schaffens hingewiesen, in denen dieser oder jener für sich genommen tiefsinnige Gedanke auch noch eingebracht werden kann?"

Das Wort tiefsinnig dürfte man eigentlich in dicken Buchstaben drucken. Es ist in der Regel das Gegenteil von plakativ. Ein dickes Lob spendet Herkommer auch dem Publikum, das beim Schlussapplaus sehr fein dosierte – Beifall für die künstlerischen Leistungen, Missfallen für die missglückte Regie. Vielleicht ist es wirklich an der Zeit, wieder über Regie und Theaterwirkung nachzudenken, nachdem 30 Jahre lang provoziert wurde, als wären Regisseure schon per Amt zuverlässige Visionäre.

Die meisten, das ahnt man auch in den Leipziger "Revolutionen", sind es nicht.

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