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19.4.2024 : 14:37 : +0200

Hamlet und die letzten fünf Jahre

31.03.2011

Gleich zwei Stücke am Pfalztheater Kaiserslautern bespricht Frank Herkommer: Urs Häberli inszeniert das 2-Personen Musical "Die letzten 5 Jahre", Johannes Reitmeier einen "Hamlet", der begeistert

 

Mein starkes Stück: Hamlet und die letzten fünf Jahre

 

Lautrer Triumvirat

 

Drei Produktionen, die eines gemeinsam haben: Mit Johannes Reitmeier, Urs Häberli und Mareike Zimmermann führen drei vom Haus Regie. Und wie! Für jeden Geschmack etwas: Hamlet, Shakespeares wohl größte Herausforderung für jeden Schauspielregisseur, von den beiden Hauptprotagonisten ganz zu schweigen, Eine Nacht in Venedig von Johann Strauß Sohn, Karnevalsoperette zum richtigen Zeitpunkt, und für die Freunde des Musicals das Zwei- Personenstück „Die letzten fünf Jahre“ von Broadway - Komponist Jason Robert Brown. Zwei der Stücke hier in der Besprechung:

 

Der unglaubliche Daniel Mutlu

 

Wer die beeindruckende Faustinszenierung von Johannes Reitmeier gesehen hatte, wusste bereits: Da kann einer Klassiker. Sein Hamlet gehört zu den Inszenierungen, denen man wünschen würde, via Fernsehaufzeichnung einem Millionenpublikum zugänglich gemacht zu werden. Keine spuckend deklamierende Mimen, die einen hoffnungslos veralteten Text über ein innerlich abwesendes Publikum ergießen, to sleep or not sleep die Preisfrage des Abends, auch nicht Pappmache und Mittelaltermarkt, stattdessen eine Inszenierung, die einmal mehr auf die Sprechkultur höchsten Wert legt. Und schon verschwindet jeder künstliche Pathos, die bleierne Schwere archaisierender Sprache weicht einer ungeahnten Modernität, die in Beschlag nimmt und irgendwann hast du das Gefühl, so sprechen die Menschen heute. Wenn sie die Schönheit der Sprache lieben. Jedes Wort mit der Kraft, seine Botschaft zu stemmen. Der Regisseur mit seinen gewohnten Ironisierungen und Übertragungen, jeder spürt: Da hat einer seinen Interpretationsrahmen, aber zwingt niemanden zur selben Auslegung. Wenn Hamlet nicht zum Pseudophilosophen stilisiert wird, sondern aus seiner Studentenbude kommend samt Reclamheft und Rednose zum Zorro der Gerechtigkeit mutiert - womit wir stabreimmäßig bei Daniel Mutlu wären.

 

Die Helden sind so jung wie bei Shakespeare, die wundervolle Marion Fuhs keine depressive Psychotikerin, eher eine verstörte Spätpubertierende, der die junge Liebe zu Hamlet abzuspüren ist, mit der jugendlichen Finalität, die im Suizid ein Fanal und Rettung der Ideale sieht und nicht verzweifelten Abbruch. Bilanzselbstmorde kommen biografisch später. Eigentlich müssten sie alle gelobt werden, von Henning Kohne als Claudius, der die archaische Freude am gelungenen Mord nicht unterdrücken kann, über Gertrud, die von Antje Weiser in ihrer ganzen Ambivalenz gespielt wird, eine Brust für den Sohn, eine für den Liebhaber, Rainer Furch und Hannelore Bähr, ein herrliches, die selbe Tolle tragendes Paar, sie in Hosenrolle, der schrullige,

schottenrocktragende Günter Fingerle, der Che- Guevarra- Verschnitt Markus Kloster, der formidabel fechtende Markus Penne, Reinhard Karow, der das Blut gerinnen lässt als Geist des ermordeten Königs, Peter Nassauer als süffisanter Polonius, Jan Henning Kraus, der sich für die Rolle des Polonius eigens einen Bart stehen lässt, er derjenige mit einem Hauch von Melancholie, last not least Oliver Burkia, der einfältige Totengräber, dem jede Pietät längst abhanden gekommen ist.

 

Dennoch muss uns soll Daniel Mutlu hervorgehoben werden. Ein Großer im status nascendi. Wer ihn als Hamlet sieht, ist bei der Geburt einer großen Schauspielerlaufbahn dabei. Was für eine Konzentration und Präsenz, gepaart mit Textsicherheit und Interpretationsmächtigkeit. Da wird nicht nur eine Geschichte erzählt, das allerdings meisterhaft, da werden Archetypen aktiviert, tiefenpsychologische Schichten angesprochen, Hamlet wird nicht einfach nacherzählt, sondern verdichtet. Großes Theater! Kluges Bühnenbild, von Thomas Dörfler.Die erotischen und herrlich typisierenden Kostüme aus der Hand von Anke Drewes. Das Ganze eine Koproduktion mit dem Pfalzbau Ludwigshafen.

 

Die schauspielende Sängerin und der singende Schauspieler: Astrid Vosberg und Dominique Bahls


Schade, dass ich Ihnen, liebe Leserin und Leser, nur einen ganz kurzen Appetizer bieten kann. Gleich vorweg: Eine unglaublich schwierig zu inszenierende Geschichte, „Die letzten fünf Jahre“. Weil sie einmal mit dem Ende und andererseits mit dem Anfang einer gescheiterten Liebesgeschichte beginnt, bei der Hochzeit überschneidet sich die gegenläufige Zeitreise, die beiden existieren (wie in so mancher Ehe) nebeneinander her, agieren zur selben Zeit, ohne sich wahrzunehmen. Eine Idealstudie für Eheberater, professionelle wie die des Alltags, also Menschen wie Sie. Geistreich und detailverliebt von Urs Häberli für die Werkstadtbühne in Szene gesetzt, unterstützt von einem Bühnenbild von Ursula Beutler, das von der Einsamkeit des Künstlers ( er Erfolgsautor, sie macht als Musicalsängerin keine Karriere) durch Zitate Edward Hoppers erzählt. Genial die Idee, den „Weg“ und die Distanz durch einen aufgemalten Mittelstreifen zu markieren. Astrid Vosberg eine wunderbare Cathy, mit allen Gefühlen vom höchsten Glück bis zur Wut über sein Fremdgehen und das eigene Versagen. Ihre Stimme wie gewohnt farben- und nuancenreich. Ein Seeleninstrument. Wer hätte gedacht, dass Dominique Bals so gut singen kann! Absolut musicaltauglich. Schauspielerisch sowieso. Freuen Sie sich jetzt schon auf die Szene: Probesingen für Astrid und Peter Breuning spielt gegen sie an!

 

Ihr Kulturbeutel

 

Frank Herkommer