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25.4.2024 : 16:42 : +0200

Das schlaue Füchslein

07.04.2011

Von Füchsen und anderen Menschen schreibt Frank Herkommer in seiner Rezension der Janáček-Oper am Pfalztheater für opennetz.de

Von Füchsen und anderen Menschen

Um im Wald das tiefenpsychologische Symbol für das unheimliche Weibliche zu sehen, sind die drei Herren eigentlich zu alt. Der Förster, dem die bürgerliche Ehe offensichtlich zu eng ist, der verleumdete Pastor, der für die Wahrheit seines Religionsstifters auf die harte Weise bezahlen muss, dass verlangend ansehen bereits genügt, und der in seiner aussichtslosen Liebe verschmähte Dorflehrer, der sich, würde Böhme Janáček sagen, zum lächerlichen Kapaun macht. Dafür ist Füchslein Schlaukopf, eine Fähe, das dralle junge, erotische Leben aus dem Wald. Das Weibliche, das sich nie ganz domestizieren lässt. Auch nicht, gehalten wie ein Kind, zuhause bei Försters, das Hauptgebäude mit Steinen aus ausgebleichten Jagdtrophäen, während dicke Eier als Wandbaumaterial den Hühnerstall veranschaulichen. Pars pro toto in Perfektion. Und jeder spürt, wie gerne der Hausherr eine weitere „Trophäe“ seiner Sammlung hinzufügen würde.

Janáček ist das Vergnügen auch nach knapp 90 Jahren abzuspüren, wenn die Schlaue sich als heimlicher Blaustrumpf entpuppt und die dummen Hühner zur Entmachtung des eitlen Hahns aufwiegelt, ihn als sexuellen Ausbeuter outet (und das 1924!). Oder wenn der auf den ersten Blick verliebte Fuchs seine Füchsin fragt, ob sie schon oder noch nicht, ihr seine romantische Ader eingesteht, sich für die Richtige aufzubewahren, um nachzuhaken, wie es ums Rauchen bestellt sei, Symbol für die orale Verfügungsgewalt eines jeden Vamps. Augenzwinkernd begibt sich der Komponist und Librettist in die Welt des Waldes, das Reich der Natur, zeigt Korrelationen auf mit der Kulturwelt, dem Raum der Geschichte, indem er Geschichten erzählt, die ständig changieren zwischen den beiden Reichen, von denen Karl Marx postulierte, das Reich der Freiheit breche an, wenn die Natur humanisiert, der Mensch seine wahre Natur gefunden habe. Anthropomorphe Züge hier, Naturalismus da. Alles miteinander vermengt wie im wahren Leben. Ein Dackel, der nicht ans Ziel kommt. Ein Dachs, der die „Höhle“ (Freud lässt grüßen) der Jungen überlassen muss. Bezeichnend, dass alle menschlichen Protagonisten in den Randzonen agieren, selbst die Kneipe, symbolisiert durch Wände aus hunderten gut gefüllten Biergläsern, könnte den Namen „Waldeslust“ führen. Keine Fabel, die zu Ende durchdekliniert wäre, vom Leben erzählen sie alle, Tiere wie Menschen, mal heiter, mal tragisch, wie von seinem Sinn: Das Prädikat der Unsterblichkeit kommt nicht dem Einzelnen zu, sondern der Gattung. Schlaukopf stirbt, der Nachwuchs lebt. Der Vorhang fällt.

Fürs Märchen- und Zauberhafte mit einem gerüttelten Maß an Schlitzohrigkeit sind Johannes Reitmeier und Urs Häberli genau die Richtigen. Beide teilen sich die Regiearbeit, für die Tiere ist eher der Opernchef zuständig, für die Menschen der Intendant am Pfalztheater. Heraus kommt eine entzückende Inszenierung, deren Witz und burleske Verspieltheit, konsistente und dichte Erzählweise Erwachsene wie Kinder gleichermaßen anspricht. Mit atemberaubend schönen Bildern, die jeden in den Bann schlagen, auch durch die vorzügliche Personenführung. Doping für die Phantasie.

Kongenial Hannes Neumaier. Stundenlang möchte man jedes seiner Kostüme einzeln einer näheren Betrachtung unterziehen, der Hahn, der sein kleinbürgerliches Patriarchat mit Gefieder aus Krawatten zur Schau trägt, Dachs, Igel, Schnecke, Stechmücke und Libelle, Hühner und Hahn, Frosch und Dackel, egal welches Tier, alle eine Augenweide. Der Wald einfach und damit vertraut, aus Latten zusammengezimmert, wieder eine Nahtstelle. Dem das raffiniert eingesetzte Licht einen Zauber verleiht. Auch der Boden der Bühne mit Naturmaterialien belegt. Großartige Kostüm- und Bühnenbildarbeit.

Das Orchester unter Leitung von GMD Uwe Sandner, genius loci und spiritus rector für verlorene Opern des 20. Jahrhunderts, meistert die Herausforderung dieser komplexen Komposition mit Bravour. Ob raffinierte symphonische Phasen, ob Anklänge an Volkslieder und -tänze, dann wieder Adaption und Antizipation von Filmmusik, ob Stimmungsmalerei, Wiedergabe von Seelenbefindlichkeit oder instrumentale Übertragung der Tierlaute, es entsteht ein konzises Klangerlebnis, das der Differenziertheit der Komposition entspricht.

Idealbesetzung bei Füchslein Schlaukopf. Eine entzückende Arlette Meißner, fröhlich, frech, unfromm, frei. Schauspielerisch auf höchstem Niveau, stimmlich äußerst präsent und expressiv. Bernd Valentin: ein überzeugender Förster, seine elegante Stimme gibt der Rolle prächtige Farbe und Nuanciertheit. Hans–Jörg Bock, Dackel und Schulmeister, mit seiner warmen, glockenreinen Stimme, ein die Gefühle schmeichelnder Charmeur, wie immer textklar (wobei der deutsche Text übertitelt wird). Alexis Wagner gibt den Pfarrer und den Dachs, urkomödiantisch, er interpretiert die Rolle eher mit leisen Tönen, die angenehm zurückhaltend wirken. Einen herrlich liebenswerten Fuchs als Hosenrolle für Hanna Larissa Naujoks, deren weiche, lyrisch gefärbte Stimme überzeugt. Den Wilderer Haraschta singt Ralph Jaarsma, die klangschöne Stimme mit Charakter. Last but not least die zauberhaft–freche Konstanze Wagner, die als kleines Füchslein Schlaukopf über die Bühne wirbelt. Das Haus tat gut daran, die vielen kleinen Rollen mit Chormitgliedern zu besetzen: Försterin und Eule: Elena Gerasimova, Mücke und Wirt: Bernhard Schreurs, Gastwirtin Ildikó Haulis, als Franzl strahlt Pascal Brun mit Susanne Pemmerl in der Rolle des Sepp um die Wette, der urkomische Hahn wird von Michael McBride auf die Bühne gebracht, Naomi Hibi seine Schopfhenne, Shin Nishino erfüllt als Specht Standesamtfunktion, Jung-Baik Seok ist der Eichelhäher, Katharina Heister ein Frosch, Anika Laborenz eine Grille und Alisa Hunsinger die Heuschrecke.

Das Publikum einfach nur hin und weg. Die Prädikate im Bereich zwischen entzückend, verzaubernd, zauberhaft und süß. Das Pfalztheater wird mit strahlenden Gesichtern für Mut und Kompetenz belohnt

Frank Herkommer

http://www.frank-herkommer.de/