Kaiserslautern zieht nach: Premiere Butterfly
Das Pfalztheater startet nach Saarbrücken mit der Puccini-Oper "Madama Butterfly" in die Saison 2011/2012 - mit einer überragenden Adelheid Fink, für opernnetz. de beobachtet von Frank Herkommer
Reifungen
Überraschend puffig geht es zu in Ernö Weils Butterfly -Inszenierung. Die Geishas – die Titelperson ausgenommen - im Nuttenlook, infantil und dem amerikanischen Geschmack angeglichen wie ihre Morgengaben. Glückskatzen, die metronomengleich Winke, Winke machen, und man wundert sich, dass das Orchester nicht irgendwann aus dem Takt gerät. Der Boss heißt Coca-Cola, ein Kühlschrank mit dem unverwechselbaren Logo und Inhalt, das war' s dann aber schon an angedeuteter Amerikakritik. Cio–Cio-San, die Kinderprostituierte, die sich verrennt in Illusionen, die außer ihr keiner teilt. Dass der Ort der Handlung – das spätere Atombombenopfer Nagasaki! – einen Steilpass liefern könnte zur parabelhaften Weltaneignung, wird an keiner Stelle spürbar. Der Ort ist beliebig, weil es die Innenräume des Menschen sind, die Weil ausleuchten möchte.
Eine Inszenierung, in der es um Reifungen und Prozesse geht. Die den Charakter weniger der Entwicklung als des Sprunges aufweisen. Die der Regisseur konstatiert, nicht erklärt , weil er der Persönlichkeitswerdung das Moment der Kontingenz und des Arbiträren zuweist. Ein Konsul, der eben noch halbherzigen Widerstand leistet, zum Loddel de luxe degradiert zu werden, der den Alkohol schneller ausschwitzt, als er ihn runter kippen kann. Um sich nach dem ersten Akt sichtlich zu verwandeln, seriös in Kleidung und Auftritt. Ein Pinkerton, dessen Verhalten an eine adoleszente Schülerliebe oder den erstmals gewagten Bordellbesuch erinnert, unsicher und nervös wie vor dem ersten Mal, der als Mann gereift zurückkehrt. Wie das kleine, naive Mädchen Cio–Cio-San, das zur großen Frauengestalt mutiert – auch dank der überragenden Leistung von Adelheid Fink. Suzuki, deren vorauseilender Gehorsam in vorausschauende Ahnung der sich abzeichnenden Tragödie umschlägt. Der anbefohlene Kotau, in dem zugleich das Sichkrümmen vor Seelenpein anschaulich wird. Ernö Weil zeigt sich als Meister der Körpersprache, etwa wenn Butterfly auch wörtlich am Boden zerstört ist.
Die Welt draußen ist ausweglos. Das zeigt das konkludente Bühnenbild von Karin Fritz, die auch für die äußerst ansehnlichen Kostüme zuständig ist. Butterflys little America, sie kleidet sich ab der Hochzeit konsequent westlich, erst zum Sterben findet sie zu ihrer Kultur zurück, hat etwas von Sartres Eingeschlossenen. Die beweglichen Wände sind eher Begrenzungen, Kafkas sieben Türwächter, nicht einmal der leuchtende Bambus – die Farbinstallationen von Harald Zidek vom Feinsten - möchte in eine Wechselbeziehung zum humanen Raum treten. An den Wänden der Kemenate je gegenüber große, gerahmte Flächen, wie schwarze Spiegel, die ehrliche Selbstbetrachtungen und Lageeinschätzungen verunmöglichen. Die Räume verjüngen sich, die Tiefe der Bühne wird ausgenutzt, was gerade im ersten Akt die Chorszenen für einige Momente zu einem unübersichtlichen Gedränge werden lässt. Die Personenführung fühlt sich im ersten Akt in der Tiefe und Enge des Raums im Zweifel dem Optischen und weniger dem Akkustischen verpflichtet. Das ändert sich hörbar, wenn die Verjüngung durch die Abstufung der Ebenen nach hinten abgelöst wird.
Tief beeindruckend und anrührend die Gethsemanereminiszenz. Wenn Cio–Cio-San die tiefdunkle Nacht vor dem über Leben und Tod entscheidenden Wiedersehen mit dem Erzeuger ihres Kindes – Anastasia Wagner, auch im wahren Leben Kind der Butterfly, spielt mit großer Ernsthaftigkeit den Sohn abwechselnd mit ihrer Zwillingsschwester Rosalie – mit dem Kleinen und der Dienerin verbringt, das Zwischenspiel brillant intoniert wird, und eine Begleiterin nach der anderen wie die Jünger Jesu in Schlaf versinkt. Betet und wachet mit mir!
Das Orchester unter Leitung von Till Hass, nach leichten Anfangsschwierigkeiten mit der Lautstärke, steigert sich zu einer imponierenden, differenzierten Puccini-Interpretation, mit einer großartigen Buntheit, spürbarer Spielfreude, mitreißender Dramatik, ohne jedes Pathos.
Die Sängerinnen und Sänger: Adelheid Fink in der Titelrolle überragend. Wie sehr sie sich zurücknehmen kann, um eine Kindfrau von 14 Jahren glaubhaft im ersten Akt darzustellen, wird deutlich, wenn sie im späteren Verlauf ihre ungeheure Präsenz, ihre Dynamik, ihre Empathie einbringt, zur Tragödin aufsteigt, die lyrischen und die dramatischen Passagen gleichermaßen perfekt intoniert. Stimme und Mimik, Gestik, die Fink schlägt jeden in Bann, rührt an, bewegt tief. Steffen Schantz füllt die Rolle des Pinkerton mit Bravour und weichem, einschmeichelndem Tenor aus. Eine Stimme wie gemacht für einen Liebhaber. Bernd Valentin als Konsul sängerisch wie darstellerisch absolut überzeugend; der wie Melanie Lang in der Rolle der Suzuki zu Recht vom Publikum gefeiert wird. Wunderbar, wie sie die Höhen setzt und unaufdringlich Gefühle intoniert! Hans-Jörg Bock ein schmieriger Heiratsvermittler, dessen unverwechselbare, immer textverständliche und schöne Stimme ihn längst zum Dauergast am Pfalztheater gemacht haben. In den weiteren Rollen wissen unter anderen Alexis Wagner als Onkel Bonze, Peter Floch als Fürst Yamadori und Susanne Permerl als Kate Pinkerton zu gefallen. Der Chor unter Leitung von Ulrich Nolte stark in den dramatischen Auftritten. Die leisen Töne könnten noch ein wenig leiser und differenzierter sein.
Das Publikum: Keine übermäßigen Ovationen, kaum Zwischenapplaus, warmer und herzlicher für Steffen Schantz, besonders aber für Adelheid Fink begeisterter Schlussapplaus. Sechs Minuten. Das Lob während der Premierenfeier durchgängig. Man hat das Gefühl, irgendwie hat sich das Publikum an das hohe Niveau am Pfalztheater Kaiserslautern als Selbstverständlichkeit schon gewöhnt.