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Der Fliegende Holländer am Pfalztheater-Feuilletonbeitrag in der Landshuter Zeitung

28.02.2010

Frank Herkommer schreibt für das Feuilleton der Landshuter Zeitung seine Rezension über die großartige Fliegender Holländer -Inszenierung am Pfalztheater Kaiserslautern durch den Intendanten des Niederbayrischen Landestheaters, Stefan Tilch. Stoff für mehr als eine Würdigung

Der Fliegende Holländer

Oper von Richard Wagner

Pfalztheater, Kaiserslautern

Premiere am 27. Februar 2010

Die Liebe im Zeitalter der Globalisierung

Acht Jahre Anstandsfrist hatte Johannes Reitmeier eingehalten, bevor er seinen Nachfolger als Intendant am Landestheater Niederbayern einlud, Wagners Fliegenden Holländer am Pfalztheater Kaiserslautern zu inszenieren. Stefan Tilch gelang am Samstag ein großer Wurf, mit einer Regieleistung, die Wagner und den Stoff der Oper ernst nimmt, trotzdem Unerwartetes zu sagen hat. Die Geschichte wird schlüssig erzählt, ohne ihr innerstes Thema- Erlösungsbedürftigkeit und Erlösungsfähigkeit- für nur einen Augenblick aus dem Blick zu verlieren. Der Intendant des Dreistädtetheaters zitiert die unterschiedlichen Tendenzen der Auslegungsgeschichte mit intellektueller Brillanz: Ob Heimatlosigkeit des Menschen, das orphische Rad im Sieben-Jahres-Rhythmus der Wiederholungen biografischer Fehlentscheidungen, ob das Dämonische im Fortschritt, das Erlösungspotential im Ewig- Weiblichen oder die Liebe im Zeitalter der Globalisierung, keine Auslegungsebene bleibt unreflektiert. Tilch aktualisiert, ohne zu trivialisieren. Aus Spinnerinnen werden Leiharbeiterinnen in einer Wäscherei- und jeder versteht. Eine Inszenierung, die auf spätpubertäre Mätzchen durchgehend verzichten kann, keine Nackten und keine Zoten, mit Psychogrammen, die ebenso stimmig wirken wie überraschen.

 

Der Ballast, den das Lebensschiff des Holländers mit sich schleppt, seine Untoten sind die erotischen Beziehungen auf Widerruf, virulente Bindungsängste, der Hedonismus moderner Spaßgesellschaften. Statt schimärenhafter Matrosen Partygirls an Bord, Phantasiegestalten, denen die Künstlichkeit, der Warencharakter und die Beschädigungen anzusehen sind (für die phantasiereichen, zur Interpretation einladenden Kostüme zeichnet Christl Wein verantwortlich). Der Luxusliner des Holländers wirkt über Lichteffekte einmal wie einer der Twin Towers, dann wie ein Bankgebäude in Frankfurt und, um das Technokratische heutiger Entscheidungsabläufe zu betonen, wie die Parteizentralen von SPD und CDU in Berlin. Das komplexe, technisch raffinierte, ästhetisch nachhaltig beeindruckende Bühnenbild von Thomas Dörfler.

 

Mit Bayreuthsänger Andreas Macco in der Rolle des Holländers gelingt Tilch eine Idealbesetzung. Die elegante Stimme vereint jugendliche Dynamik, erotische Färbung und seelische Reife. Unprätentiös und darum umso überzeugender im Spiel. Überragend auch die beiden Haussänger, Sopranistin Adelheid Fink und Tenor Steffen Schanz. Ihre Senta mit jugendlicher Finalität, ein Stück Seeräuberjenny, die Ankleidepuppe im Waschsalon als Projektionsfläche transzendierender Träume. Bei ihr schwingt ein utopisches Surplus  im Treuebegriff mit.Die Stimme absolut Wagner geeignet. Weit ausgreifend und anrührend in einem. Einfühlsam und schwebend in den Piani, dramatisch im Mezzoforte. Steffen Schanz als Erik, die Tenorstimme ebenso jubelnd wie kraftvoll. Ein Sänger mit ungeheurem Potential. Tilch versetzt den Archetypus des Jägers, diese landgestützte Alternative mit ähnlichem Utopiepotential wie der Seemann, in die Rolle eines Aussteigers. Michael Dries überzeugt als Dalant, dessen Kutter eine norwegische Genossenschaftsbank im aussichtslosen Wettkbewerb mit den Finanzhaien im globalen Meeresbecken symbolisiert. Ein heillos naiver, unzeitgemäßer Familienkapitän, der die Versorgungsehe seiner Tochter anstrebt und einen patriarchalisch geprägten Treuebegriff pflegt. Die schöne und gepflegte Stimme dezent, in kleinbürgerlicher Zurückhaltung einsetzend. Ansprechend und charmant füllt Mezzosopranistin Susanne Schimmack die kleine Partie der Mary aus. Mit unglaublicher Textverständlichkeit und Verve singt Hans- Jörg Bock mit strahlendem Tenor den Steuermann. Die Chöre, einstudiert von Ulrich Nolte, leisten Großartiges. Und Erstaunliches, gemessen an ihrer Größe. Wie das Orchester des Pfalztheaters, das an diesem Abend unter der Leitung des Ersten Kapellmeisters Till Hass große Wagnermusik mit Gänsehauteffekt zu Gehör bringt. Hass verzichtet darauf, einen Sängerstreit mit dem Orchester zu provozieren, ohne dass die prometheische Musik das geringste an Dynamik und orphischer Hybris verlöre. Ein begeistertes Premierenpublikum spendet 15 Minuten Applaus.

 

Frank Herkommer