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19.4.2024 : 22:42 : +0200

Verdis Falstaff am Pfalztheater Kaiserslautern- Bernd Weikl singt und inszeniert

28.06.2010

Zwischen comedia dell'arte und Shakesspeareschem Sommernachtstraum wechselt Weikls Inszenierung, die Frank Herkommer für Willi-Magazin launisch bespricht.

Mein starkes Stück: „Falstaff „ von Giuseppe Verdi

Finale furioso

Abdomen. Umgangssprachlich auch Wampe, Wanst, Plautze, Ranzen, Bierbauch genannt. Der, der den Gürtel hält und oben schwimmen lässt. Piktogrammvorlage für Prasser. Wenn ausgemachte Machos zum abdomestizierten Sitzpinkler mutieren. Der Arm ist kurz, der Weg ist weit. Willfähriger Hungermelder. Versetzter Höcker aller Spiegeltrinker. Schlauchschattenspender. Überhöhtes Objekt der Begierde für BauchliebhaberInnen. Kopfablage für Feteschisten. Rotkäppchengrab. Für Rotwein auch. Resonanzdoppelboden für Weltstars.W wie Weikl.

Bernd Weikl. Kakanier aus dem Bilderbuch. Vater Paprika, Mutter Schmäh, Bauch mächtig. Schon ohne künstliche Verdoppelung. Mächtig wie die Stimme. Konzentriert, ausgreifend und differenziert in einem. Kultiviert und gebildet. Kein Abgesang eines alternden Stars am Opernhimmel, der in der pfälzischen Provinz nachglüht. Keine Tingeltour für einen notorischen Rentenbeitragsverweigerer. Keine Marika Röck der Oper, nur dicker, die uns, am Ende penetrant, über Jahrzehnte weismachen möchte, dass nur wir älter würden. Weiterhin einer der ganz Großen. Der hier am Pfalztheater nicht nur singt und bühnenfüllend spielt, der seine ganze Erfahrung, Phantasie und Kreativität, seinen burlesken Humor mit einbringt in die Arbeit als Regisseur. Inszenierung an einem Haus, dem ein Johannes Reitmeier und ein Urs Häberli, ein Andreas Bronkalla und eine Susanne Biehler längst hohen Respekt in der Opernwelt verschafft haben. Und ein GMD Uwe Sandner. Der den Mut zu außergewöhnlichen Produktionen ebenso aufbringt wie das Können am Dirigentenpult. Leichte Kost, was die Handlung anbelangt, große Musik mit Gewicht, in die Verdi noch einmal all sein Können, seinen musikalischen Reichtum, seine Fähigkeit, Seelen anzurühren gelegt hat. Irrsinnige Tempi, die höchste Konzentration im und über dem Graben verlangen. Feinabstimmungen wie in den Stakkato - Quartetten, die das Herz jedes Opernfreundes schlagen lassen, als ob Deutschland gegen Argentinien im Elfmeterschießen stünde. Mikado – Erfahrungen: wackeln darf's hin und wieder, nur nicht (auseinander) fallen zwischen Orchester und den SängerInnen.

Shakespeare und Verdi, zwei, die dem Abdomen ein unsterbliches Denkmal gesetzt haben. Wenn die „Lustigen Weiber von Windsor“ (Titel beim Dichterfürsten) Sir John „Falstaff“ (beim Operngott) zusetzen. Dem Völler ohne Locken ordentlich einschenken. Commedia dell'arte und Shakespearsche Märchenwelt, Weikl schafft es, beides auf die Bühne zu zaubern. Ohne Brüche. Mit einem augenblinkenden Shakespeare-Oval, das anzeigt: Sommernachtsträume sind jetzt erlaubt. Und er hat dafür ein Team, das er besser nicht hätte zusammen stellen können: Die hochtalentierte, entzückende und wunderbar unverbrauchte Julia Holewik, am Anfang einer großen Karriere, die Kostüme schafft, so überschäumend an Einfällen, dass alleine wegen dieser Augenweide ein zweiter Besuch Pflicht ist. Mindestens. Ein ebenso burleskes wie durchdachtes Bühnenbild von Thomas Dörfler, die sich drehende Welt als Manege, von Google earth bis zur Fries- Collage aus dem Beatles Album Sgt. Pepper's lonely hearts club band. In Lautern mit Weikl und Weichel. Beck und Obama. Die Protagonisten lassen einmontiert grüßen und Herr Intendant auch. Fröhlicher Wechsel zwischen öffentlichen Szenen ( die Statisten und Chormitglieder teilen unseren Voyerismus) und einsamen Stunden, wenn der doppelte Abdomen mit seinem kleinen Ich sprichtt und tanzt. Nicht verraten wird die Lösung, wie Sir John aus der Wäschekiste in die Themse kommt. Genau hinsehen, sonst verpassen sie das Entscheidende! Einfach genial gelöst.

Wie die Auswahl der SängerInnen. Adelheid Fink eine souveräne Alice Ford, bei der man versteht, dass es Sir John nicht nur auf die Penunzen ihres Mannes ankommt. Nanetta, ihre bezaubernde Tochter, die keinem faltigen Tattergreis, sondern dem jugendlichen Liebhaber Fenton den Bauch streicheln möchte, von Arlette Meißner gesungen und gespielt. Bei beiden kommt Stolz auf, dass sie zum festen Ensemble am Reitmeierhügel gehören. Gast Yanyu Guo eine Mezzosopranistin vom Feinsten, als Nachbarin Quickly Postillon d' affront. Wioletta Hebrowska als Wiedergutmachung für die Kaczynski- Brüder eine wundervolle Meg Page. Steffen Schantz begeistert als Fenton, sein Abdomen, vom Kostüm verstärkt, bereits beachtlich. Abdomen est omen - für eine Karriere, die noch lange nicht die letzte Stufe auf der Leiter erreicht haben muss. Mut zeigt Weikl auch mit der Besetzung des vermeintlich gehörnten Ford. Carlos Aguirre singt so sensationell, dass er Applaus auf Phonhöhe mit dem großen Weikl erhält. Zu Recht! Alexis Wagner, mit bolivarischem Schnurrbart, zwei Diener, ein Herr, er gibt den Pistola und der Rolle Charakter. Ein Komödiant der Extraklasse, der zudem exzellent zu singen weiß, Marian Henze, als Bardolfo. Eine Braut vom Feinsten, da würde sogar Guido aufmerksam. Last not least John Pickery, der bei der Premierenfeier tapfer das Känguru am Revers trägt (Australien null- Deutschland vier!!), einen altersgeilen Doktor Cajus erzkomödiantisch in Szene setzt und dazu noch ausgezeichnet singt.

Wenn Sie dieses Heft in Händen halten, haben Sie bis zum 9. Juli noch drei Mal die Chance, Welt-Weikl zu sehen und zu hören. Und aggressive Libellen. Und einen BH- tragenden Affen. In der Wiederaufnahme ein exzellenter Ivan Konsulov. Am besten, Sie schauen bei beiden Varianten rein. Wie ich -

Ihr

Kulturbeutel Frank Herkommer