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Mein starkes Stück: Die lustigen Nibelungen, von Frank Herkommer, nur hier

27.11.2008

Shit happens- es war die defekte "Maske" des Layouters, die zu einem peinlichen Ergebnis führte: Im WILLI die richtigen Bilder, der falsche Text. Hier nun der richtige. Schade drum! Wie gut, dass viele Tausend Leser Monat für Monat diese Seite besuchen! Bei 150 000 durchschnittlich aufgerufenen Seiten verdiente Aufmerksamkeit für ein tolles Stück!

Mein starkes Stück: Die lustigen Nibelungen


Lachen gegen Braun


Wolf-Dieter, sei mir nicht böse, wenn ich dieses schreckliche Wort in den Mund nehme, diese Aufführung ist ja lustig. Ich habe den bösen Verdacht, wir sollen uns amüsieren. Na ja, was willst du bei Operette auch erwarten! Und das in unseren ernsten Zeiten. Wie oberflächlich! Lass uns jetzt in der Pause gehen.“ - „Ruth -Maria, du hast ja so Recht. Empörend! Und entschuldige bitte, dass ich so laut gelacht habe. Es soll nicht wieder vorkommen. Ich mache dir dafür zuhause gleich ein vegetarisches Müsli, und wir lesen gemeinsam Rilke. Und unterschreiben zwei Appelle. Beat about the Bush, solange er noch da ist. Und dann mach ich dir den Siegfried!“- „Wolf-Dieter!!!“- „Von vorne, von vorne, da ist er ganz von Horne!“- „Komm jetzt! Wenn das der Kerl vom WILLI mitbekommt!“- „Doch von hinten ist er zu überwinden...“.


Wer aus dieser Vorstellung flieht, ist selbst dran schuld. Intendant Johannes Reitmeier hat einen Schatz für das Pfalztheater gehoben, der auch nach über 100 Jahren keinen Staub ansetzen konnte. „Die lustigen Nibelungen“. Damals ein Zwischending zwischen Vaterlandsverrat und nordischer Gotteslästerung. Als die deutsche Rechte seit dem 19.Jahrhundert einen Ersatz suchte fürs fromme Gemüt. Weil Kriegsgeschrei und Bergpredigt ebenso wenig zusammen passen wie die Unterscheidung in Herrenmenschen und Untermenschen zur christlich-jüdischen Auffassung, dass jeder Mensch göttliche Qualitäten hat. Güte- Siegel Mensch. Walhalla statt Eden war angestrebt. Und dann kommt Oscar Strauß. 1904. Mit hinreißenden Melodien, als habe jemand die Fenster zur Operettenbühne aufgemacht. Zum Mitsingen. Auch heute noch. Wenn Till Hass den Dirigentenstab in Händen hält sowieso. Gemeinsam mit seinem Librettisten (dessen Künstlername bezeichnender Weise auf Deutsch bedeutet: Lasst uns lachen!) macht Strauß sich lustig über die teutsche Verherrlichung des Mittelalters im Allgemeinen, die Bemühung, den Teutonen ihre alten, gegerbten oder gefriergetrockneten Wasser- und Berggötter aus Worms, Island und anderswo als Frischfleisch anzudrehen im Besonderen. Nichts fürchten die Vertreter falscher Erhabenheit, von Vergangenheitsbeschwörung ohne Anschluss und weltanschaulicher Verführungsanstrengungen mehr als das Lachen.


Johannes Reitmeier weiß das. Ihm gelingt ein wunderschöner Dreh: Herr von Hagen als Addi-Kopie (vorzüglich umgesetzt von Frank Gersthofer). Zum einen zeigt er damit, wohin der Mumpitz und Mummenschanz führen musste: Direkt in den irrationalen, mörderischen Faschismus. Strauß lag richtig. Zum anderen lehrt er die Neubraunen das Gruseln: Ein ganzer Saal schüttet sich aus über den (un)heimlichen Helden der Neos: Addi, der überspannte Depp. Das tut richtig gut!


Und der Rest auch: Zum Quietschen schön! Zum Brüllen komisch. Michael D. Zimmermann, eloquente berlinernde Quasselstrippe unter den Bühnenbildnern und Verkleidungskünstlern, spielt mit dem Intendanten Kreativitätspingpong. Eine Augenweide, was dabei herauskommt. Mama Ute, alias Geertje Nissen, die mit dem Anita-Ekström-Busen, mal im Kuhgewand, dann wieder im Saunamorgenmantel, der tiefe Einblicke gewährt. An ihrer Seite Klaus Hesse als Dankwart, zwei Routiniers, die unglaublich viel zu geben haben. Siggi mit blond-schwulen Löckchen, aber ansonsten sehr männlich. Lohengrin schickt den Schwan, damit er das Lotterbett beäuge, dessen Rückwand wie der Hörnerhelm Wotans in jeder Kitschinszenierung Richard Wagners anno dazumal. In selbigem vergnügt sich als Siggi der stimmlich überragende Hans-Jörg Bock mit der entzückenden Arlette Meißner, alias deutschblondes Kriemhildchen, und es wäre jammerschade, wenn sich das Duett auf den Gesang beschränkte. Ein Weib wie Donnerhall, nicht nur, wenn Brunhild alias Silvia Klauder auf dem Donnerbalken sitzt. Da kann man gut verstehen, wenn Daniel Böhm in der Rolle des Gunther bibbert und zittert, aufgefordert, mit ihr in den Boxring zu steigen. Lieber Weichei als weich gekloppte Birne. Wie gut, dass auf dem T-Shirt Siegfried unsichtbar steht, und er das Mannweib auf die Bretter schickt. Erzkommödiantisch beide bei äußerst ansprechender Gesangsleistung. Bernhard Schreurs hat sichtlich Vergnügen als Held Volker und das Publikum an ihm. Hinreißend Astrid Vosberg in der Hosenrolle des Recken Giselher. Ob als gelber Spaßvogel oder mit dem Hula Hoop. Die Statisten laufen auf zur Höchstform, und alles tanzt nach der Pfeife von Stefano Gianetti, dem Herrn der bewegten Körperwelten. Ulrich Noltes Chor sprüht vor Spiel-und Sangeslust, eine einfach toll gelungene Inszenierung. Ja nicht verpassen!

Das Publikum tobt vor Vergnügen, nur Wolf-Dieter und Ruth-Maria nicht. Was sie allerdings nicht bedauern. Nachbarn berichten, sie hätten ganz deutlich gehört: „Mach mir noch einmal den Siegfried! Von vorne! Von vorne!“ Geht doch!
Ihr Kulturbeutel Frank Herkommer