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19.4.2024 : 21:33 : +0200

Über allen Wipfeln ist Ruh- über die neue Beerdigungskultur schreibt Frank Herkommer für den WILLI

27.11.2008

Ruheforst, Friedewald. immer mehr Menschen entscheiden sich für diese Alternative. Einswerden mit der Natur, in ein größeres Ganzes aufgemommen werden, sind dabei tragende Motive

Über allen Wipfeln ist Ruh'


Was haben Viktoria und ihr Husar, Suzanne und Yesterday, Time to say goodbye, Starway to heaven und Highway to hell, Schumanns Träumereien und die Kastelruther Spatzen gemeinsam? Sie waren im ablaufenden Jahr bei Beerdigungen zu hören gewesen. Der Highway bei einem Biker, die Kameraden stehen in der Kluft Totenwache, Motoren von gut zwanzig Maschinen heulen auf, als der Sarg aus der Halle gefahren wird. Eine Veranstaltung, die eigene Formen und angemessene Worte braucht. Kurze, nahezu unvorbereitete Fuffzehn ist nicht. Und Vereinnahmung des Lebens durch die Kirche schon gar nicht. Unser Bruder ist gegangen, längst Fiktion aus vergangener Zeit. Die Menschen wollen hören, wer gegangen ist. Brüder und Schwestern sind die Minderheit. Nicht nur bei Bikern. Mindestens 85% der zahlenden Mitglieder beteiligen sich selten oder nie am Gemeindeleben. Nur wenns halt sein muss. Ein Drittel der Bevölkerung gehört erst gar nicht dazu. Was nichts über seinen Glauben aussagt.

Musikwünsche. Sie erzählen von den Gefühlen der Angehörigen die sie darin ausgedrückt empfinden. Sie werden eingebracht, weil sich die Verstorbenen selbst dieses Lied, jene Melodie gewünscht haben. Letzte Wünsche sind bekanntlich heilig. Das ins Stammbuch der beamteten Verwalter des Heiligen. Selbst im Zeitalter der Ökumene gibt es immer noch protestantische Geistliche, die das Abspielen des Ave Maria untersagen.

An der Musikauswahl wird deutlich: Die Veränderungen in der Beerdigungskultur haben an Tempo aufgenommen. Immer häufiger handbemalte Urnen. Die Motive erzählen von den Gefühlen der Familie, von den Hoffnungen und Einstellungen des Gegangenen. Kreuze und Dürers betende Hände sind längst in der Minderheit. Welche Art von Texten ansprechen, kann man in den Todesanzeigen ablesen. Poesie und Trost sind angesagt. Spiritualität jenseits des Dogmas. Teelichter in Symbolform auf dem Boden verteilt, fröhliche Bilder der Verstorbene neben der Urne, luftige Drappierungen, die von der Leichtigkeit der Erlösung (vom mühseligen Sterben) erzählen, Vereinsfarben, die ein letztes Mal ernst nehmen,was dem Verstorbenen wichtig war. Differenzierung, wohin man schaut. Vor fünf Jahren noch beknieten viele Hinterbliebene die Pfarrerinnen und Pfarrer, den ausgetretenen Verwandten bitte doch zu beerdigen, heute entscheiden sich immer mehr Menschen, trotz Kirchenmitgliedschaft lieber einen Freien Redner zu beauftragen. Individualität ist angesagt.


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Parkplatz Ruheforst. Noch muss man bis hinter Frankenstein fahren, um eine Waldbeerdigung begleiten zu können. Das wird sich in diesem Jahr ändern. Kaiserslautern wird einen eigenen Ruheforst- Friedewald erhalten. Der Forstmitarbeiter erwartet uns bereits am Eingang. Ein tischhoher Baumstumpf dienst als Abstellplatz für die Urne. Wenn es der Wunsch ist, darf ein Verwandter das Gefäß die dreihundert Meter bis zur Andachtsstelle tragen. Schweigend schreiten wir durch den Wald. Ein Gefühl kommt auf von der Natürlichkeit des Todes, von der Erhabenheit des Lebens, eingebettet in das Werde und Vergehe allen irdischen Daseins. Der Wald singt, zu jeder Jahreszeit seine eigene Melodie. Eigentlich bräuchte es keine weitere Musik. Die meisten Angehörigen beschränken dementsprechend ihre Wünsche auf eine Melodie.

Zwei Baumtische, vier Bänke. Die Älteren können, müssen aber nicht Platz nehmen. Auf einem der glatten Baumtische die Urne. Sie verrottet innerhalb weniger Tage im Waldboden. Keine Chance für Grabschänder. Die Asche wird mineralischer Teil der Erde, aus dem der Baum seine Nahrung bezieht. Das Leibliche zurück im Kreislauf der Natur, für die Angehörigen eine Vorstellung, die mit fortgesetztem Leben und Sinn durch Einbindung in ein Größeres zu tun hat. Ein Ort, an dem man sich nahe sein kann. Ohne Grabkult. Ohne immer höhere Kosten. Mit oder ohne Namenschildchen am Baum. Selbst Familienbäume sind möglich, acht Plätze dürfen reserviert werden. Für Grabbeigaben gilt: Nur,was völlig verrottet.

Auf dem anderen Stumpf Bild oder/und Blumen, auch hier Drappierungen und Windlichter. Ein baumhohes Kreuz als Hintergrund. An diesem Ort zu sprechen erfordert Respekt vor der Stimmung des Waldes. Gekünsteltes hat keinen Raum. Banales und Triviales ebenso wenig. Klarheit ist angesagt. Ein Vater Unser im Wald gesprochen entfaltet eine tiefe Wirkung. Weil es das Elementare anspricht.

Nach der Ansprache der Weg zum Baum. Der kann beschwerlich sein. Behindertengerecht gibt es nicht im Wald. Bei älteren Hinterbliebenen wird darauf geachtet, dass der Baum in der unmittelbaren Nähe eines Weges steht. Vielen genügt alleine die Vorstellung, dass der gegangen Mensch hier im Wald seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Zurück in der Natur, deren Teil der Mensch immer schon war und immer bleiben wird.

Frank Herkommer