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25.4.2024 : 6:28 : +0200

Der Leuchtturm- PT Kaiserslautern

13.12.2007

Ein Riesenerfolg wurde die Inszenierung des "Leuchtturm" durch Johannes Reitmeier am PfalztheaterKaiserslautern. Immer ausverkauft. Den Gründen dafür geht Frank Herkommer in opernetz.de auf die Spur. Auch auf der homepage des PT in Auszügen

 




Fotos: Pfalztheater Kaiserslautern

Sich selbst dunkel

Das Pfalztheater Kaiserslautern setzt auf beeindruckende Weise seine Serie von Kammeropern fort. Mit Peter Maxwell Davies „Leuchtturm“ bringt Intendant Johannes Reitmeier eines jener Stücke zur Aufführung, deren Rahmenhandlung und die „Auflösung“ am Schluss man am liebsten nicht verraten möchte. Nicht nur, weil Metamorphosen sich jeder Eindimensionalität und letzter Eindeutigkeit versperren. Nein, weil Reitmeiers Inszenierung die verschiedenen Metaebenen unauflösbar bündelt wie zu einem Strahl, erst im Ensemble des gesamten Spektrums geeignet, Licht ins sich selbst dunkle Ich zu bringen. Der Leuchtturm bietet in der Lesart des Intendanten einerseits Orientierung auf existentiell hoher See, seine Außenwirkung, um zu einer so nicht erwarteten Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich zu führen (vgl. Tableau mit Bogen, Ernst Bloch, Spuren), er reflektiert andererseits und zeitverschränkt bereits je und je zurück in den Innenraum, der Protagonisten wie der Zuschauer. Kunst gewährt dem Genießenden ebenso wenig „sicheren Gewahrsam“ ( Sandy ) wie der Rückzug in den Turm der Weltabgeschiedenheit, wie Existenz als bloße Verwaltung oder Verdrängung eigener Vergangenheit. Kein Verzicht auf Autonomie des Subjekts (und damit eigener Verantwortlichkeit) kann die Wiederkehr der Erschlagenen und der Geschändeten verhindern. Im Gegenteil: er beschwört sie herauf. Oder so: Selbst auferlegte Buße konstituiert keinen Automatismus der Vergebung.

Reitmeier, unterstützt von Dramaturg Andreas Bronkalla, baut den Spannungsbogen derart gekonnt auf, dass man sich unwiderstehlich in den Bann geschlagen, mit in den mächtigen Strudel hinein gezogen fühlt. Mit der Ahnung, dass das Abgründige Stigma eigener Befindlichkeit sein könnte. Nicht, dass wir Wiederholungszwänge so auslebten, wie der in seiner Kindheit gequälte, unheilbar traumatisierte Blazes. D er zum Totschläger wird und den eigenen Vater dafür im metaphorischen wie realen Sinn hängen lässt. Jeder hat dafür seine eigenen Leichen im Keller. Nicht, dass wir Zuschauer wie Sandy unter geschwisterlichen Inzestschuldgefühlen litten und Reue über angediente oder beanspruchte Knabenliebe fühlten, aber wer zeichnet schon Adornos Diktum über die Sexualmoral, ihr einziger Grundsatz laute, der Ankläger habe immer unrecht, ein in sein Über-Ich und fühlte sich frei von Sünde? Nicht dass wir unser Dunkel hypostasierten und einbänden in ein apokalyptisches Deutungsgeflecht wie Arthur, aber dagegen gefeit, eigenem Abstieg und unfreiwilligem Entsagen verborgene göttliche Absichten zu unterstellen und sie in ein beschönigendes Sinngefüge zu stellen, wer ist das schon?

Technikkritik, Entfremdung im Automatisierten, die Gefährdung des Humanum durch autonome Metasysteme (der sich schlussendlich selbst verwaltende Leuchtturm), männerbündische Beschädigungen, nichts wirkt inhärent oder nebenher laufend in dieser vorzüglichen Inszenierung. Reitmeier erweist sich als Meister des Nebenbei, aus einem groben Tisch wird der Turm, um anderenorts zum Richtertisch, zum Boot oder Schiff zu mutieren. Beklagte und Anklagende, Täter und Opfer, Richter und Freigesprochene zweiter Klasse, alles fließt bei dieser gekonnten Personenführung bruchlos ineinander über, als sei die erste Haut mit der zweiten und dritten identisch. Tiefenpsychologische Häutungen. Reitmeier spielt mit den Räumen, um sie eng werden zu lassen, ganz stark die Rattenturmszene, um dann wieder babylonische Höhe zu erreichen. Im Offenen eingeschlossen zu sein, im Geschlossenen hinaus gehalten, in Bilder umgesetzte existentielle Chiasmen.

Drei inszenatorische Tiefenebenen, Gerichtssaal, Meer, Strand- und Turmarenal vorne, transparenter Vorhang auch als Projektionsfläche, dahinter der einer Ölplattform ähnliche Turm, den Eiffel persönlich konstruiert haben könnte, hinter einer weiteren schwarzen Gazebarrikade die erhöhte Orchesterebene, alles von Raumgestalter Heiko Mönnich, zuständig auch für die milieugerechten Kostüme, vorzüglich umsetzt. Die überdimensionalen Gazevorhänge als Raum- und Zeitenteiler. Der Einfügung des Bühnenbildes in die Messehallen ähnliche Jean-Schön-Halle auf dem Gelände der Gartenschau haftet nichts Heterogenes an, alles korreliert und korrespondiert. Lichter, die Atmosphäre schaffen, Situationen ausleuchten, heim leuchten, blenden und einhüllen.

Das Orchester unter Leitung von Andreas Hotz: Kleine Besetzung, gigantische Wirkung. Es säuselt und tobt, expressionistische Virulenz neben anmutiger Liedbegleitung, Lautmalen vom Meerestosen bis zum dissonanten Chor der erschlagenen Ratten, Beschreiben und Erzeugen seelischer Zustände, atemberaubend, was hier unter meisterlichem Dirigat zu Gehör gebracht wird.

Den Sängern wird Unglaubliches abverlangt. Dreifach gefordert wie selten, als Kollektiv, als Schauspieler, als Solisten. Alle drei zeichnet die für diese Kammeroper unerlässliche Textverständlichkeit aus. Obwohl Rainer Weiss kurzfristig für den erkrankten Bariton Daniel Böhm einsprang, gelingt dem Trio eine sängerische Synchronität, gefragt vor allem in den Offizierspartien, die voll überzeugt. Auch die schauspielerische Zuordnung gelingt reibungslos.

Steffen Schantz, Tenor, in der Rolle des Sandy: Phantastisch, wie er in die Rolle des regredierenden Päderasten schlüpft. Daumen lutschend, der Flachmann als Ersatznuckelbusen, Papierschwalben werfend, das Gesäß penetrationsbereit, unterwürfig und konfliktscheu. Seine wunderschöne Stimme einmal voll und schmeichelnd, dann im Falsett das Kind, das um Liebe buhlt. Sein Sololied eine ergreifende Hymne an die Reinheit der adoleszenten Liebe. Rainer Weiss als Blazes: der vollendete Proll. Der Getriebene. Der Schamlose. Zwischen Shining und Kuckucksnest. Sein Falsett grenzt gewollt ans Umkippen in den Wahnsinn. Wie jedem der drei Protagonisten weist ihm Davies einen Song zu, den er in warmem Bariton anrührend vorträgt. Alexis Wagner hat in der Rolle des Arthur einen großen Abend. Stark in den Piani, Führung beanspruchend in den Mezzofortepassagen. Die kultivierte, schöne Stimme ausdrucksstark und voll. Die Aura des Kryptischen, des Schamanen und Hohepriesters verbreitet Wagner glaubhaft mit Stimme und Spiel.

Das Publikum: entzückt, begeistert, offen für ungewöhnliche wie ungewohnte Musik und für die subtile Botschaft, so anstrengend sie auch sein mag. Kompetent und Applausspenden freudig- Minutenlange Ovationen! Ein Stück, das lange nachhallen wird, in Ohr und Seele.