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18.4.2024 : 19:05 : +0200

Jenufa am Nationaltheater Mannheim- eine beeindruckende Inszenierung

07.07.2008

Premiere für Regula Gerber: Großer Erfolg für die erste Operninszenierung der Generallintendantin Regula Gerber am Nationaltheater- auch dank einer überragenden Susan Maclean. Die Bespechung von Frank Herkommer für opernnetz.de

Mörderische Stringenz

 






Fotos: Hans Jörg Michel

Regula Gerber schafft das schier Unmögliche: Eine hoch differenzierte, vielschichtige, psychologisch und philosophisch durchdeklinierte Exegese des Jenufa-Stoffes durchzuführen und zugleich stringent, alle platten Klischees, etwaige Courths-Maler-Reminiszensen vermeidend, eine dramatische Dynamik zu entwickeln, die den Zuschauer bezwingt, ihm vor Augen hält, dass Hoffnung eo ipso das Prekäre der Vereitlung in sich trägt (Ernst Bloch), ohne in den Nihilismus zu verfallen und die Möglichkeit des privaten (psychischen wie materiellen) Überlebens auszuschließen. Alle Stränge der unterschiedlichen Interpretationsebenen laufen nebeneinander, ohne den Hauch von Disparatheit, gebündelt und fokussiert auf die entscheidenden Existentialien, die sich vor jeder Reflexion und Kenntnis erschließen. Die Geschichte trägt in der Lesart Regula Gerbers voraussetzungslos, also ohne dass jede einzelne intellektuelle Preziose erkannt und goutiert werden musste. Eine Geschichte der seelischen Verwundungen und Vorlasten, die die je eigene Existenz übersteigen und ihr voraus laufen, eine Parabel auf die Traumatisierungen, die der Missbrauch und die Verschandelung der Utopie im real existierenden Sozialismus hinterlassen hat. Eine kluge psychologische Auseinandersetzung mit den Phänomenen Psychose und Adoleszensverweigerung. Psychogramme, die nicht werten und unterschiedlich gewichtig ausfallen, sondern erschließen, mit der notwendigen Distanz zu allen Beteiligten. Parteilichkeit nur insofern, als die Empathie und Mitleidensfähigkeit zu spüren sind, die auf die vordergründige Einteilung in Täter und Opfer verzichtet. Regula Gerber arbeitet mit einer ausgefeilten Choreographie, deren Feinabstimmung und Deutungsgehalt überzeugen. Mit liebevollen Details wie den einarmigen Richter, der das beschädigte Rechtssystem postkommunistischer Gesellschaften symbolisiert.

Sandra Meurer trägt diesem Ansatz gekonnt Rechnung. Die Bühne erhält einen doppelten Rahmen, das Eintrittsmotiv für den Zuschauer, der aus der betrachtenden Distanz geholt wird. Drei Bühnenbilder: Die Kälte, soziale Kontrolle, blanke Aussichtslosigkeit eines Betriebs, wie er heute noch im verspäteten Weißrussland zu erleben ist. Eine verstörende Behausung der Küsterin, konisch zulaufender Käfig, mit nicht zugelassenem Leben, das nach unten verdrängt wird. Männer im Hintergrund der schwarzen Aussicht, der alte Adam, der den Töchtern Evas so viel Leid zufügt. Schattenhaft sichtbar, wenn ihre Mitschuld, ihre Verweigerung, ihre Möglichkeiten ins Bild gesetzt werden sollen. Das Geschäft, das Jenufa hinterlassen wird, mit sakralen Elementen, die den utopischen Überschuss bewahren. Kostüme, bewusst so hässlich wie das verstümmelte Leben.

Was Friedemann Layer und das Orchester des Nationaltheaters Mannheim an diesem Abend zu Gehör bringen, kann nur mit den Prädikaten überwältigend und unwiderstehlich vereinnahmend annähernd beschrieben werden. Die Seelen nachzeichnende Musik Janaceks, ihre Dramatik und dann wieder ihre feine Ziselierung kommt meisterhaft zum Ausdruck.

Die gesanglichen und darstellerischen Leistungen stehen dem in nichts nach. Überragend in einem Ensemble auf hohem Niveau Susan Maclean als Küsterin. Die dunklen, dann wieder an Wahnsinn grenzenden und sie überschreitenden, alle Gefühlslagen malenden Töne verdichten sich in ihrer Stimme zu einem großen, stimmigen Seelengemälde. Ihre Mimik bezwingt jede Distanz, ihre Körpersprache verstärkt ihre unglaubliche stimmliche Ausdruckskraft bis an die Grenze des Möglichen. Absolute Weltklasse. Ludmilla Slepneva singt und spielt tief beeindruckend eine Jenufa, die gekonnt die Entwicklung und das Arrangement mit dem Leben nachzeichnet. Ihr Sopran hat Klarheit, perfekte Technik und vereinnahmende Schönheit. Große Leistung von Uwe Eikötter, der dem immer zu kurz Gekommenen Laca Stimme und Statur gibt. Er versteht es, stimmlich die Zerrissenheit zwischen Sehnsucht und Ressentiment, Großmut und Gehässigkeit hoch differenziert und bruchlos auszudrücken. Gewohnt souverän, stimmschön und spielstark Michail Agafonov als Stewa. Ein Erlebnis Emma Sarkisyan, Grande Dame der Operndiven und Musikprofessorin aus Moskau in der Rolle der Alten Buryia. Immer noch eine Wahnsinnsausstrahlung. Durchweg gelungen die Auftritte von Jaco Venter als Altgesell, Mihail Mihaylov als einarmiger Richter, Natalia Maiorova als seine Frau und Katharina Göres in der Rolle der Karolka. Unglaublich choreografisch sensibel, gesanglich auf der Höhe wie gewohnt der Chor unter Leitung von Tilman Michael.


Das Publikum diskutierte bis tief in die Nacht, nach langem und begeistertem Premierenapplaus. In aller Munde die sensationelle Leistung von Susan Maclean. Auch das Regieteam bekam starken Beifall, trotz der Zumutungen, die eine Darstellung von Abgründigem wie Nichtigem unumgänglich macht.