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Der Goldene Drache

31.03.2011

Ambitioniertes Theater auf der Höhe der Zeit- Schimmelpfennigs Goldener Drache am Pfalztheater Kaiserslautern. Für Sie dabei Frank Herkommer

 

Mein starkes Stück: Der Goldene Drache

 

Vom Wunsch, ein anderer zu sein

 

Selten war das Publikum so gespalten, wie an diesem Abend. Zwischen trivial und genial die Bewertungen. Verstörung, Empörung, Begeisterung, gelangweilte Abwehr und atemloses Sicheinlassen, untrügliche Zeichen für große Kunst. Die nicht einfach nur gefallen möchte, sich schon gar nicht nicht der Gefälligkeit anbiedert. Wer einfach nur unterhalten werden möchte, dieses unveräußerliche Grundrecht im Theater, dem sei ein Ticket anempfohlen, das ihn in eine reizende Nacht in Venedig entführt. Oder in die köstlich inszenierte Gaslicht- Produktion, bei der man spürt, dass ein riesengroßer Schalk im Nacken von Regisseur Murat Yeginer sitzen muss.

 

Wer nun meint, ein sozialkritisches Drama à la Hauptmann oder Bert Brecht vorgeführt zu bekommen, eindimensionalen Agitprop, wird überrascht sein, wie viel mehr das Stück zu sagen und zu geben hat. Schimmelpfennig ist klüger, als es sich manchem aufs Erste erschließt. Der Else-Lasker-Schüler-Preisträger bietet Kunst, die Anstöße geben will. Die anstößig wirkt, ohne Anstößiges in plumpen, fleischfarbenen Bildern auf der Bühne zu visiualisieren. Da sei schon der vorzügliche Regisseur Jan Langenheim davor (Inszenierung und Bühne). Sexuelle Gewalt wird nicht vor Augen geführt, keiner möchte sich ausmalen, was gerade passiert, als die junge Frau aus Fernost im nicht einsehbaren Parkett kaputt gemacht wird. Im Land der fleißigen Ameisen, schon Aesop wusste davon eine Parabel aufzuspielen, von den Grillen, die sich der Verwertungsgesellschaft entziehen, um dann flügelgestutzt zu werden, ihre Kunst sich verdinglichen muss, um doch nur wie ein Spiegel von der heimlichen Sehnsucht der Arbeitsamen nach einem anderen Leben Kunde abzulegen. Nach Jean de la Fontaine nun die dritte Rezeption der Parabel von der verspielten Grille und der vorratsanhäufenden Ameise. Und nichts hat sie eingebüßt von ihrer Faszination.

 

Das Publikum sitzt konsequenter Weise auf der Bühne. Weil wir alle Akteure sind im in der globalen Tragikkommödie, die sich Leben im Falschen nennt. Wo keiner bereits der ist, der er sein könnte und sein möchte. Bloch. Wo das wahre Leben sich in Messianischen Splittern andeutet. Walter Benjamin. Die sich in den Träumen zu Wort melden. Diesem Reflex des Unbehagens an der eigenen Kultur. Von Schimmelpfennig erzählt aus dessen Froschperspektive. Aus der Sicht der kleinen Leute, wie es Benjamin postulierte, der ausgebeuteten Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter im global Village, die schuften wie die Ameisen und deren ihnen eigentümliche Exotik doch noch den Traum wach hält von einem anderen Leben.

 

Fünf grandios aufspielende Schauspieler, die alleine schon den Abend zum Ereignis machen. Alle in den mal surrealen, dann wieder minimalistisch typisierenden Kostümen von Katharina Kopp. Eine, die in der Seele eines Stückes zu lesen vermag. Wie das Ensemble des Pfalztheaters. SchaupielerInnen, die uns pantomimisch in die enge Küchenwelt eines China-Vietnam-Thai-Schnellrestaurants führen. Und ins Restaurant, wo die zwei Stewardessen essen und die Suppe auslöffeln wollen. In einem Haus, wie es in der Steinstraße stehen könnte. Keine Krankenkasse für den Illegalen (Elif Esmen, die mit ihren Rollen an diesem Abend ebenso den endgültigen Durchbruch am Pfalztheater geschafft hat wie der groß aufspielende Markus Penne, er unter anderem als Grille und Parabelerzähler), dessen Zahn ihn nicht nur im wörtlichen Sinn schmerzt. Der den weiten Weg aus China auf sich genommen hat, weil eine Großfamilie alle Hoffnungen auf ihn und seine vermisste Schwester gesetzt hatten. Die in seinem hohlen Zahn auszumachen sind. Anleihe an den phantastischen Realismus eines Gabriel García Márquez. Wie die Reise des Verbluteten durch Zeit und Raum, wo sich Lebende und Tote treffen können.

 

Die ganze Hektik kommt rüber, wenn Hannelore Bähr, Reinhard Karow und Markus Kloster mit den beiden anderen kochen und bedienen. Jeder spielt mehrere Rollen und alle gleich sehr gut. Frauen und Männer wechseln die Rollen, weil auch mit den heutigen Rollenzuweisungen noch niemand weiß was und wie Mann und Frau jeweils sind. Schimmelpfennig entwirft keine Utopie, er weiß nicht, wie eine Welt ohne Entfremdung aussehen wird, er geht den Weg der seelischen Enthüllung: Keiner möchte (nur) der sein, der er ist. Die Schwangere möchte kein Kind, das Paar nicht zusammen sein, die Mobilen sesshaft, die Belesenen sinnlich. Die braven Bürgerlichen ekstatisch ausbrechen.

 

Schimmelpfennig bedient sich des selben dramaturgischen Prinzips wie Vicky Baum in„Leben im Hotel“. In seiner Steinstraße. Einzelschicksale, eruptive Auftritte, Brechungen. Zerspellungen.. Brechtsche Entfremdung, dann wieder Texte mit Vortraghinweisen, die mitgesprochen werden.  " Pause". Tableaus und Einzelauftritte. Die Einheit der Form wird nicht gewahrt, weil das Leben noch fragmentarisch, widersprüchlich und zerrissen ist.

Am Pfalztheater hält das zeitgenössisches Theater mit seinen avantgardistischen „Zumutungen“ beeindruckend Einzug. Auf einer Höhe mit den wichtigen Bühnen unseres Landes. Dem Haus sei Dank für den Mut, die „Tragikkommödie“auf den Spielplan zu setzen. Ihr Autor Roland Schimmelpfennig, der meist gespielte deutsche Dramatiker, immerhin werden seine Stücke in 40 Ländern auf die Bühne gebracht, in zahlreiche Sprachen übersetzt. Wer offen ist für Neues, Anstöße bekommen möchte über den Abend hinaus und dann noch erleben darf, wie gut es um unsere Schaupielsparte personell bestellt ist, darf diese Inszenierung nicht versäumen.

 

 

Ihr Kulturbeutel

 

Frank Herkommer