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Hugo-Ball-Preis in Pirmasens

14.09.2008

Frank Herkommer schreibt fürs Radio- die originellsten Beiträge für Radio Pirmasens und Antenne Kaiserslautern hier

Dada und Goldt,

Alle drei Jahre versammeln sich die Dadaisten aller Länder in Pirmasens. Es ist, als lege sich die Stadt vom Bauch auf den Rücken, und schon wird aus der analfixierten Selbstwahrnehmung das Gefühl, einmal für drei Tage der Nabel der Welt zu sein. Zürich, Cabaret Voltaire, das ist wieder nächste Woche. Diese Woche wird die vergessene Schuhmetropole zum Mekka für alle subversiven Querdenker, für humorbegabte Nonkonformisten, für die Internationale der Antispießer. Denn seit 1990 verleiht die Schuhstadt am Todestag ihres bedeutendsten Künstlers den begehrten Hugo- Ball-Preis. Am Sonntag ist wieder soweit: Um halb elf wird die Pirmasenser Festhalle bis auf den letzten Platz gefüllt sein, wenn der Künstler unter den Literaten, der Wanderer zwischen den Formen, der Berliner Max Goldt den mit 10 000 Euro dotierten Literaturpreis erhält. Und mit 5000 für den Förderpreis ist der Lyriker Alexander Nitzberg gut mit dabei.

Dada ist mehr als Gaga. Was den Malern ihr Expressionismus, das war den Literaten Anfang des vergangenen Jahrhunderts der Dadaismus. Sie waren die ersten, die die sauberen Trennungen zwischen einzelnen Kunstformen aufhoben. Sprechen, flüstern, schreien, Steine zum Reden zu bringen, Urlaute nach zu formen, all das gehört ins volle Programm. Der Dadaismus erkannte: Bildungsbürgertum, Sittsamkeit, Aufklärung als bloße Vernunft und fromme Kirchlichkeit hatten die Katastrophe des Weltkriegs nicht verhindern können. Das gewohnte Denken aufzubrechen, die bleierne Ordnung aufzukündigen, durch neue Wahrnehmunsweisen eine neue Aufstellung von Kunst und Gesellschaft zu erreichen, war das erklärte Ziel der dadaistischen Bewegung. Getragen von deutschen Künstlern im Schweizer Exil wie dem Pirmasenser Hugo Ball. Kein anderer Pfälzer neben Ernst Bloch hat die Welt intellektuell nachhaltiger verändert als der Pirmasenser Literat.

Nicht verpassen: Sonntag, 10.30 Uhr, Festhalle, Verleihung des Hugo- Ball- Preises 2008 an den unerziehbaren, unerschöpflich kreativen und ungemein klugen Max Goldt. Ä, wollte ich noch was sagen? Ä wie Mariä Lichtmess, Mariä Empfängnis, Mariä Himmelfahrt. Aber das soll Ihnen Max erklären. Am Sonntag. Eintritt frei. Dass kein Platz frei bleibt, sollte Ehrensache sein.

 

 

Dada und Popo

Die Woche der Wahrheiten in Pirmasens: Hugo- Ball-Preis, Verleihung an Max Goldt, und alle Fans vom schwer erziehbaren schwulen Schwager aus der Schweiz werden ebenso am kommenden Sonntag Vormittag um halb elf in die Festhalle strömen, wie unzählige passive Radiotrinkerinnen, die trotz aller Globaliserungsgewöhnungseffekte die Übernahme von Parkbräu ausgerechnet durch die Bellheimer auch nach Jahren immer noch nur im Suff ertragen, die am nächsten Tag trotzdem noch wissen, worüber wir gesprochen haben, dieses süße Nichts, und alle rennen die quietschenden Flügeltüren ein, die den Zauber des seitlich dran Vorbeigehens- alles O-Ton Maxel- nicht auf dieses Event beziehen.

Goldt ist nicht alles. Am Freitag dröhnt der Bär. Im Pirmasener Quasimodo lassen „Die Türen“ sämtliche ebensolchen wackeln. Die Berliner Jungs rocken und poppen, was das Zeug hält. Diskurspop nennt sich das, klingt furchtbar akademisch, nach Müsli, political correctness, Volkshochschule und erhobenem Zeigefinger, aber es ist eher der Stinkefinger. Gegen Armut, Hartz IV , Langeweile und Pisaschockwellen. Rock und Pop plus Message. Aufs Maul Schauer und wenns sein muß, aufs Maul Hauer. Schrill, laut, differenziert. Das hölzerne Eisen. Die nachdenklich stimmende Unterhaltung. Vox populi für Demokraten. Reingehen, anhören, dabei der Ähre die Ehre!

Freitag, 12. September, im Quasimodo Pirmasens. Fragen Sie nach dem Gewerkschaftskomplex. Nein, nicht Agenda 2010, die Gebäude in der Alleestraße. Los geht’s um 21 Uhr. Bis dahin müssten alle gediegenen Liebhaber der Popmusik wieder vom Vorabend nüchtern sein. Eintritt: Neun Euro, für Bedürftige und ihre Interessenvertreter nur 5 Euro. Also 5 Euro. „Pause machen geht nicht“, das Motto der Veranstaltung. Bezieht sich vermutlich auf Ehre der Ähre. Ä, wollte ich noch was sagen? Ä wie Märiä Lichtmess, Mariä Empfängnis, Mariä Himmelfahrt. Himmel noch einmal, soll das doch der Max erklären.

 

PS: Schönes Wortspiel, das dem Gewerkschaftskomplex; dafür musste glatt auf einem großen, vierzipfligen Leinentuch, das verdächtig nach Phanatasiedoping roch, das "Quasimodo" an die Stelle der "Klulisse" über die Stadt getragen werden. Für meine Hörer ist mir keine Mühe zuviel!

 

Dada, Weihnachten im September und ein Dichter, der seinen Namen gerne falsch ausspricht

Am Ball bleiben, das Motto dieser Tage. Denn in Pirmasens wird der Hugo-Ball-Preis verliehen. Alle drei Jahre wieder staunt die Welt, dass die Schuhstadt nicht nur zahlreiche kreative, international gefeierte Modelleure, sondern auch einen Literaten von Weltformat hervorbrachte. So einer war Hugo Ball, der Mitbegründer des Dadaismus. Und weil diese Kunstrichtung sich den Brechungen, dem Einbruch des Anarchischen in die gewohnte Ordnung, des Archaischen in das Berechenbare, der Archetypen in die Logik des Verwalteten verschrieben hat, darum ist es nur konsequent, dass der Todestag des Künstlers als Termin der Preisverleihung auserwählt wurde. Ein bisschen Dada eben. Am Sonntag, dem 14. September ist es wieder so weit: der Lorbeerkranz lässt sich nieder über der mit ersten Falten durchzogenen Denkerstirn von Max Goldt. Der mit dem schwer erziehbaren schwulen Schwager aus der Schweiz. Sie wissen doch.


Des Pirmasenser Lorbeerkranzes Duplikat glänzt in ewigem Grün seit drei Jahren auf der Stirn von Feridun Zaimoglu. Nichts ist verwelkt, das zeigt seine Lesung am Samstag, um 17 Uhr im Landgrafensaal. Für die globale Fangemeinde: Im alten Rathaus in der Fussgängerzone. Eintritt so frei wie das Denken. Zaimoglu stellt seinen neuen Roman vor. „Liebesbrand“. Klingt nach Frauenliteratur, ist es aber nicht. So unverschämt gut, dass der Autor für den Deutschen Literaturpreis vorgeschlagen wurde. Das ist wie Oscarnominierung, nur eben für Literaten.


Und abends um 20 Uhr strahlt der Carolinensaal im Glanze eines unzeitigen Krippenspiels. Von Hugo Ball. Aufgeführt vom Kabinetttheater Wien. Das ganze nennt sich bruitistisches Lautpoem. Wer zicke zacke Hühnerkacke für ein lustiges Weihnachtsgedicht hält, wird auf seine Kosten kommen. Alle anderen sollten die Kunst des seitlich dran Vorbeigehns üben. Da zischt und macht es, dass einem Augen und Ohren übergehen. Aber das erklärt Ihnen Referent Dr. Eckard Faul am Abend selbst. Eintritt 10 EURO, ermäßigt fünf. Ä, wollte ich noch etwas sagen? Ä wie Mariä Lichtmess, Mariä Empfängnis, Mariä Himmelfahrt? Himmel noch mal. Das soll der Goldt nachholen. Max? Max!!!