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Von der Schwierigkeit veränderter Rezeption

02.11.2009

Johannes Reitmeier wurde für die Cole-Porter- Inszenierung in Regensburg gefeiert. Zum Remake am Pfalztheater grundsätzliche Anmerkungen von Frank Herkommer in opernnetz.de

Interdependenzen


Zur vorzüglichen Regensburger Erstinszenierung durch Johannes Reitmeier im Mai letzten Jahres ist alles gesagt und geschrieben (Rezension hier). Nach Lehman Brothers, angesichts von Boni und Bankrotten, während der intellektuelle Diskurs längst nach dem möglichen Staatsbankrott und seinen Folgen für Demokratie und Kultur fragt, wirkt dieselbe Inszenierung, die in Regensburg noch Begeisterung hervorgerufen hat, ein wenig unzeitgemäß. Im Schatten der Krise träumt keine Stadt mehr unbekümmert von der Liebe. Die Luxusprobleme der Protagonisten erscheinen in gedämpftem Licht, die eben noch ironisierte Botschaft spiegelt hart die Einstellung jener wider, die den Kapitalismus in seine derzeitige Krise geführt haben: Jeder bleibe letztlich in seiner Klasse - die einen sitzen auf der Yacht, die anderen auf Hartz IV. Der amerikanische Traum, vom Paparazzo zu Pulitzer, ungebrochen. Kein Tritt vor Mammons Schienbein. In einem Stück, das das Leben der upper ten thousand zum Gegenstand hat.

Das Bühnenbild so exzellent und protagonistenfreundlich wie in Regensburg, die Kostüme von Anke Drewes noch fantasievoller, noch schriller und bunter. Einschließlich Samba-Truppe. Felicity Hader, bei aller großen Tanzkunst, hat den Nachteil, Frau zu sein. Wallace Jones als Samba-Transe Tina Mara konnte der Rolle ein ganz anderes Gewicht geben, was der damaligen Aufführung wesentlich zum Erfolg verholfen hatte. So sah Ironisierung und Brechung aus. Eine späte Reverenz an den schwulen Porter dazu. Das Ballett, Choreographie Sänger Randy Diamond, orientiert sich erfolgreich am Musical-Mainstream. Den Chören (Einstudierung: Ulrich Nolte), gesanglich einmal mehr durchaus ansprechend, fehlte die gewohnte spielerische Leichtigkeit. Manches Gesicht erzählte weniger von Champagnerlaune als von Katerstimmung. Der Blick zu oft angestrengt ins Publikum, auf der Suche nach dem Funken, der an diesem Abend im Unterschied zur umjubelten Premiere nicht recht überspringen wollte. Interdependenzen.

Ein Genuss das Orchester unter Leitung des 1. Kapellmeisters Till Hass. Wer noch kein Cole Porter-Fan war, er ist es spätestens nach diesem Abend. Es hält einen kaum auf dem Sitz, bei so viel ansteckendem Rhythmus und Swing.

Astrid Vosberg überzeugt in der Rolle der Tracy Samantha Lord: Der Facettenreichtum in Stimme und Ausdruck fasziniert einmal mehr. Erzählt Reitmeier in Regensburg eine Heilungsgeschichte, darf die Vosberg in Kaiserslautern eine Reifungs- und Befreiungsgeschichte auf die Bühne zaubern. Nach ihrem großen Erfolg als Billie Holiday (Rezension hier) stimmlich wieder eine große amerikanische Interpretation. Der Regisseur lässt nur „ True love“ in der Originalsprache singen. Sollte es zu einer dritten Reitmeier-Inszenierung kommen: am besten klingt Porter einfach in Englisch. Vielleicht können es dann ja zwei, drei Songs mehr in der Muttersprache des Jazz sein.

Randy Diamond wieder (der einzige, der bereits in der Mai-Aufführung dabei war) ein spritzig-witziger, charmant lausbübischer Dexter Haven, mit seiner frauenschwächenden Musicalstimme. Konstanze Wagner darf eine große Zukunft prognostiziert werden. Die Tochter von Sopranistin Adelheid Fink und Bassbariton Alexis Wagner spielt, singt, tanzt und wirbelt als Dinah Lord über die Bühne, mit einer Souveränität, Ausstrahlung, Spielfreude und stimmlichen Reife, die einfach außergewöhnlich ist für eine Elfjährige. Eine echte Göre, die im Duett mit Astrid Vosberg nicht nur Paris von der Liebe träumen lässt. Geertje Nissen und Peter Nassauer (Schauspieler), ein großartiges Alterspaar, so zärtlich verbunden wie einst Philemon und Baucis als Margret und Seth Lord.

Anrührend und zum Schmunzeln. Klaus Hesse in der Rolle des Onkel Willie fehlt die Transe. Wenn er betrunken sein soll, wirkt er eher müde und alt. Gesanglich immer noch hoch präsent und kultiviert. Für die Rolle selbst vielleicht doch jenseits der Grenze, hinter der man sich Altersgeilheit vorstellen möchte. Christine Merz, mit ihrem gepflegten, klaren Sopran eine stimmlich wie schauspielerisch ansprechende Liz Imbrie. Samuel Schürmann, der in Kaiserslautern bereits in Hair überzeugte, ein multibegabter Sänger, Tänzer und Schauspieler, der den Aufsteiger Mike Connor hinreißend verkörpert. Daniel Böhm überzeichnet herrlich den von Minderwertigkeitsgefühlen geplagten Proll im Smoking, sein warmer, strahlender Bariton interpretiert Cole Porter als das, was er war: Ein großer Komponist.

Das Publikum erfüllt nicht die Erwartungen des Ensembles. Man spürt, wie groß der Unterschied zur Stimmung während der Premiere und an diesem Abend ist, mit gegenseitigen Rückkoppelungen. So ist das eben, Theater ist Kommunikation. In beide Richtungen. Oder mit dem großen Vorsokratiker Parmenides: Keine Vorstellung, in die man ein zweites Mal geht, ist dieselbe. Ebenso wenig wie dieselbe Inszenierung vor und nach einer Zeitenwende.

Fotos: Pfalztheater Kaiserslautern