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Alcatraz- Hotel und Knastwirklichkeit

03.10.2008

Eine Reportage aus dem Hotel Alcatraz- ehemaliges Gefängnis von Kaiserslautern. Hier die vollständige Version von Frank Herkommer

Alcatraz in Kaiserslautern


Aus der ganzen Welt kommen die Reporter. In Australien haben sie bereits ebenso über das neue Hotel in der Nähe des Japanischen Gartens berichtet wie in den USA und in Japan. Heute logierten gleich zwei deutsche Fernsehteams im ehemaligen Kaiserslauterer Gefängnis. Ein Team von RTL. Auch „ Brisant“ ist da. Der Reporter steckt in einem gestreiften Kostüm samt Kappe, Gefangener 0815. Ist das lustig, als ob einer der Dalton Brothers Station gemacht hätte. Fehlt nur die Fusskette mit dicker Eisenkugel. „Wunderbar habe ich geschlafen. Diese dicken Mauern, herrlich ruhig.“ Der SWR-Mann aus Mainz lächelt. Eben ließ er sich vor laufender Kamera das Knast- Frühstück durch die enge Türklappe reichen. Endlich kann er mitreden, wie es den Gefangenen dieser Republik wohl so ergeht. Empfangschefin Regina Fischer, jung, schick gekleidet, aparte Erscheinung, hat sich Mühe gegeben in ihrem Faradayschen Käfig im Eingangsbereich. Bar und Frühstücksanrichte in einem. Der erste offizielle Alkohol seit 1877. 134 Jahre lang nur heimlich „Angesetzter“, aus gärender Konfitüre und fauligem Obst, Hauptsache, es wirkt. Heute Morgen zwei Scheiben Schwarzbrot, fast stilecht. Dazu das kleine Set Butter und Marmelade, Hotelportionen, eine Tasse frisch gebrühter Bohnenkaffee. Und zur Erfrischung des One-night- Knackis ausnahmsweise noch einen Yoghurt. Die Hotelfachfrau kann einfach nicht anders. So bescheiden kann Frühstück sein in Zeiten überbordender Hotelbüffets. Kriminellendiät. Höflich klopft sie an die Original-Eisentür vor der winzigen Zelle, Averell Dalton lässt die Klappe runter sausen und nimmt einzeln die guten spartanischen Gaben entgegen. Erlebnisgastronomie, so authentisch wie möglich. Nur das Guckloch, das potentiell jede Privatsphäre nimmt, gewährt keinen Zelleneinblick mehr. Das wäre zuviel der Authentizität.


Von einem solchen Frühstück hätten die Gefangenen aller Zeiten und Länder allerdings nur geträumt. Prominente waren hier und schwere Jungs, sogar Karl Marx soll einmal die Lautrer Gastfreundschaft in diesem Gebäude genossen haben. Alcatraz-Mitinhaber Dr. Peter Koll, der als Anwalt wirklich Ahnung hat vom Innenleben einer Haftanstalt, hat das zumindest Läuten hören und will dem wissenschaftlich nachgehen. Und natürlich waren hier Terroristen. Von Besuchern so bedeutungsschwanger betont, als ob deren Haftzeit ein Gefängnis adele. Normaler Knast und Terroristenknast. Mörder Manfred Grashof und Killer Klaus Jünschke statt Rex Richard Löwenherz damals auf der Reichsfeste Trifels. Der Zeitgeist feiert seinen eigenen Abstieg.

Niemand klopft im wahren Knastleben. Schon gar keine Frau. Die sieht der Gefangene höchstens beim Besuch, maximal zwei Stunden im Monat. Von 720 Stunden, die ein Monat hat. Unter Aufsicht. Im vollen Besucherraum. Der Rest ist Einsamkeit. Frühstück auch nicht um halb neun. Der Ausspeiser wirft unter martialischem Lärm 5.30 Uhr die winzige Klappe in die Zelle, vom begleitenden Justizbeamten aufgeschlossen. Nur seine Hand ist zu sehen, mit der Kanne Muckefuck, viel Malz, kein Koffein. Wer sich leisten kann, im finanziell begrenzten monatlichen Einkauf eine „Bombe“ zu erstehen, ein Glas Instantkaffee, verzichtet dankend und hängt den Tauchsieder in die umfunktionierte leere Teekanne. Geschmacksneutrales Graubrot, jahrein, jahraus die selbe Sorte. Dazu 14täglich ein Glas Marmelade und eine Kratzmargarine. Sie muss reichen für Frühstück und Abendbrot. Yoghurt zum Frühstück ist nicht. Bohnenkaffee nicht mal Heilig Abend.


Ja, die Wände wehren allen Lärm der geschäftigen Stadt ab. Solange die Gefangenen nicht selbst für Radau sorgen. Ohne einander zu sehen, sich schreiend von Fenster zu Fenster unterhalten, vom Gitter begrenzt, russisch, türkisch, albanisch als die Topp drei. Oder die vor der Renovierung frei liegenden Heizungsrohre als akustische Rohrpost missbrauchen. Stundenlang. Oder ihre erlaubten CD-Player auf eine Lautstärke drehen, die überall sonst das Ordnungsamt auf den Plan rufen würden. Die Ruhe heute trügt.

Alles, was das Auge beleidigt, wurde ausgetauscht, überstrichen. Bilder zieren die Wände. Die nackten Lampen, selbst sie damals eingezwängt in ein Gitter, ausgetauscht durch moderne Leuchten, die jedem guten Haus zur Zierde gereichen würden. Ein großzügiger Kongressraum, der jederzeit in mehrere kleinere unterteilt werden kann, mit Fenstern, neu in die Wand gebrochen, die vergessen lassen, wie duster, wie von allem Leben abschirmend und ausschließend, wie bedrückend die Atmosphäre war, als hier noch die in Deutschland gesetzlich verordnete Zwangsarbeit ausgeführt wurde. Kleinteile für Mercedes, Gitter für Spülmaschinen im Auftrag von Draht Hemmer, Brandschutzsohlen für Arbeitsschuhe. Pfennige als Stundenlohn.
Viele der Zwischengitter mussten abgebaut werden. Die zur Zwischenlagerung der Gefangenen dienten, stundenlanges Stehen und Warten, um zum Sozialdienst, zur Krankenabteilung, zum Seelsorger zu kommen. Nichts für Klaustrophobe.

Alles nur Folklore? Das Alcatraz als Verschleierung dessen, was Gefangenschaft wirklich bedeutet? Gruseln und Beklemmung ausgeschlossen?


Wer jemals in einer der 36 vormaligen Zellen übernachtet hat, aber auch in einem der 21 Hotelzimmer, die in erweiterten Zellen eingerichtet wurden, ahnt etwas von dem vormaligen Schrecken. Neun Quadratmeter sind so verdammt wenig, dass bisher anstelle eines Platz beanspruchenden Spindes nur Kleiderhaken angebracht sind. Die raumausfüllenden Eisenbetten sind original, nur die Matrazenqualität wurde niemandem zugemutet. Heute befinden sich die standardisierten Hotelmatrazen auf dem kargen Gestell. Für einen zu wenig Raum, es reicht gerade zum Schlafen. Aber hier leben? Von Freitag Mittag bis Montag früh nahezu ununterbrochen eingesperrt zu sein. Das Etagenbett, weil zwei in dieser Enge zusammen leben müssen, zum Bewegen bleiben pro Mann vielleicht zwei Quadratmeter. Mitten drin die freistehende Kloschüssel. Heute modernisiert, mit Lüftung im Raum. Niemand zählt im freien Leben, wie oft zwei erwachsene Männer das Klo benutzen. Tag und Nacht. Ohne Sichtschutz. Ohne Geräuschschutz. Damals nur kaltes Wasser aus dem Hahn. Im selben Becken der Auswurf, das Geschirr, die ausgespuckte Zahncreme. Wer Phantasie hat und sich ihr öffnet, ahnt, was Gefängnis bedeutet. Das Ende aller eigenbestimmten Lebensweisen.

Davon erzählt auch der Hof. Wo unter den unglaublich hohen Mauern, acht bis zehn Meter in Stein geformte Unentrinnbarkeit, auf der Krone der Stacheldraht, die Männer auf engem Raum kaum Runden drehen konnten, bewacht von Wärtern in zwei Häuschen. Eine steinerne Tischtennisplatte stand da, für die Kings of jail, die die Hackordnung erzwingen, eine Schachfigurenecke für die Russen.

Es lohnt sich, im Alcatraz eine Nacht zu verbringen. Für alle, die sich Gedanken machen wollen. Etwas verspüren wollen von der Härte einer Haftstrafe. Die den Satz überdenken wollen, denen ginge es noch viel zu gut. Die Preise im Knasthotel Garni sehr moderat. Zwischen 39 und 71 Euro. Noch ist Cattering angesagt, aber ein Flügel steht ja noch für Erweiterungen bereit.