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19.4.2024 : 0:53 : +0200

Nathan der Weise- Lessing am Pfalztheater in Kaiserslautern

05.12.2011

Großer Auftritt von Henning Kohne in der Rolle des Nathan. Ein Stück, das auch nach 228 Jahren zum Religionsfrieden beitragen kann, meint Frank Herkommer in seiner Rezension für das Willi-Magazin.

Mein starkes Stück: Nathan der Weise 

Lautrer Religionsfrieden  

Henning Kohne, Posaunist des Weltgeistes im Lautrer Ensemble, alleine auf der Bühne. Botschaft: Die Wahrheit macht einsam. Für sie steht jeder alleine. Überzeugend, wenn Regisseur Harald Demmer Kohne den Dialog solo auf der Bühne sprechen lässt, die Stimme Saladins ertönt aus einem der Lautsprecher, die so abenteuerlich montiert sind wie überall in der Levante. Die Ringparabel. Höhepunkt jeder Nathan-Aufführung. Das Tallit in seiner Hand, das der Unbedarfte für ein groß geratenes Taschentuch des business man halten könnte, Nathan hält sich daran fest und walkt es zugleich, als wolle er die Dialektik seiner unsterblichen Verteidigungsrede augenfällig machen. Kein interreligiöser Dialog zwischen einem aufgeklärten islamischen Herrscher und einem jüdischen Pseudorabbi. Rainer Furch sorgt mit seiner Interpretation sowieso dafür, dass alle Überhöhungen Saladins zurück gestutzt werden. 

Die Angst steht dem Parabelerzähler ins Gesicht geschrieben, Lessing ging es vermutlich ähnlich in Zeiten von Index und Zensur. Nathan in Kaiserslautern ringt sichtlich um jedes seiner unsterblichen Worte. Geburtswehen einer großen Wahrheit: Ohne Toleranz keine Zukunft für die Menschheit. Toleranz, die nicht im Wegsehen und in Gleichgültigkeit gegenüber religiösen Themen besteht, in Unkenntnis der jeweils anderen Weltreligionen, auch nicht in Subjektivismus und nivellierendem Relativismus. Die Demut ist es, erwachsen aus einer ganz einfachen Erkenntnis: Dass sie religiös sind, verbindet die meisten Menschen, nicht zuerst ihre jeweilige Religion. Erst Mensch, dann wahrscheinlich religiös (Freud ging so weit, von einer unheilbaren Religiosität des Menschen zu sprechen, tut mir Leid, Karl Marx, wird dann wohl doch nichts mit dem Absterben), dann, meist zufällig, Jude, Christ, Moslem. Oder was auch immer. Das Wissen: Wir könnten immer auch der „Andere“ sein. Dieser besondere Clou in Lessings Stück. Was für eine Achtung, die daraus zwischen den positiven Religionen erwachsen könnte!  

Das Trennende träte zurück hinter Respekt und der Selbstbeschränkung, dass es die eine, vollkommene, wahre Religion nicht gibt. Eine Erkenntnis, die vor 228 Jahren zur Zeit der Uraufführung noch für Empörung und Ablehnung im christlichen Abendland sorgte. Die auszusprechen einem republikanischen Präsidentschaftskandidaten auch 2011 jede Chance nehmen würde. Wo der brennende und sengende Eifer fehlt, greift Humor Raum. Bei Lessing ( („Ist eine Christin-muss aus Liebe quälen“), bei Regisseur Harald Demmer, der in seiner Strichfassung darauf achtet, nicht die falschen Passagen der Spielbarkeit zu opfern, sondern den subtilen Humor des Autors gebührend herauszustellen. Der damit den Oberlehrer des Saales verweist, der in anderen Inszenierungen schon gern mal dem Publikum den Vettelfinger streckt. 

Henning Kohne. Ein idealer Nathan. Kein Wunder, sein Anagramm ergibt das hebräische Kohen. Wenn er die Ringparabel vorträgt, hält das Publikum den Atem an. Zutiefst ergreifend und in Bann schlagend. Seine Konzentration überträgt sich noch bis in den letzten Winkel des Zuschauerraums. Das schwer eingehende Metrum, die Dichte der Gedanken, Faktoren, die bereits das Lesen nicht einfach machen, sein Vortrag bewahrt die Melodie, macht sie eingängig und hilft dem Sinn auf. Kohne trägt nicht ein nettes und pfiffiges Parabelchen vor, er leidet den Text. 

Schauplatz Jerusalem. Dort, wo eine Betomnmauer die annektierten Vororte von dem palästinensischen Umland abtrennt. Wo keine Baupolizei wacht. Schieflagen, Tunnels (Gaza?), aus den Lautsprechern die Erkennungsmelodien der drei Großen: Das Kirchenlied, das Schema Israel, das Allahu akbar. Melodien zwischen Klezmer und Choral, eigens komponiert von Bernd Keul. Ein Einheitsbühnenbild in Beton, ein Kronleuchter und schon sind wir bei Clanchef Saladin, mit Protzschmuck und dann so schlicht und doch modisch wie ein Nomadenfürst aus Libyen. Alle Kostüme und das Bühnenbild aus der Hand des kreativen und subtil arbeitenden Thomas Schöneberger.  

Eine Inszenierung, die beeindruckt. Deren Aktualität jederzeit spürbar ist. Wo ein hübsch anzusehendes Bühnenbild eine Verhöhnung aller Opfer von religiöser Gewalt dargestellt hätte. Und der Not im Nahen Osten heute. 

Eine Susanne Ruppik in der Rolle der christlichen Erzieherin Daja im jüdischen Haushalt Nathan, die meisterlich die inneren Konflikte darstellt, ohne jede gekünstelte Theatralik. Eine Hannelore Bähr, deren Wandlungsfähigkeit ebenso erneut begeistert wie ihre Interpretation der Schwester Saladins, Sittah. Geschäftstüchtig wie der sprichwörtliche Jude, Grande Dame und dann wieder herzlich Frau. Mario Fuhs, Recha, märchenhaft mädchenhaft, verletzlich, sie und Markus Penne (Tempelherr) weben mit ihrer Schauspielkunst dem großen Aufklärungsprojekt Lessings eine über den Text hinaus gehende tragische Liebesgeschichte ein. Penne so unglaublich authentisch, dass man meint, in seinen Gesichtszügen den verborgenen Palästinenser erkennen zu können. Reinhard Karow spielt den alten Klosterbruder mit eremitischer Güte, Klarheit und Weisheit, dafür ist der Patriarch Peter Nassauer ein exzellent gespielter altersgeiler Pädophiler, bei dem man sich größte Sorgen um die kleinen Jungs machen muss, wenn der Ball der Messbuben (alternativ Johannes Clemens und Tarek Hilgart oder Elias Kespohl und Malo Parsons) in einen Keller fällt. Daniel Mutlu wirbelt die Bühne auf als Derwisch, grell, schnell, trotzdem wunderbar verständlich. Den wortlosen Diener spielt Dennis Kwasniok abwechselnd mit Alexander Pöschel. 

Wer Angst vorm Denken hat, wer meint, Vorurteile müssten gepflegt und nicht abgebaut werden, wer seine Religion für die allein seligmachende hält, der bleibe daheim. Alle anderen aber sollten genießen, wie schön Klassiker sein können, aufbereitet in der Manier von Harald Demmer und Axel Gade am Pfalztheater, auf die Bühne gebracht von einem Schauspielensemble, das restlos überzeugt. 

Ihr Kulturbeutel Frank Herkommer