Antikenfestspiele Trier- Nabucco- Trash people
Von einem theologisch- philosophischen Glücksgriff spricht Frank Herkommer in seiner opernnetz-Rezension. HA Schult trifft Verdi
Trash people
Was statisch-korrelierend in einem Amphitheater in Xanten begann, dann in eine dynamische Wechselwirkung zu weltgeschichtlichen Manifestationen wie Roter Platz oder Chinesische Mauer gesetzt wurde, entfaltete nun im Römischen Amphitheater seine dramatische Dimension: 100 der berühmten Trash people des Aktionskünstlers HA Schult, aufgebaut für die Nabucco-Inszenierung im Rahmen der Antikenfestspiele in Trier. Regisseur Gerhard Weber gelang damit ein philosophisch-theologischer Glücksgriff: In der realen Welt ist das Selbst zum Gespenst (Schopenhauer) geworden, wenn und weil ihm das theologische Postulat der Gottesebenbildlichkeit entzogen wurde (Adorno). Unter dem Druck der durchindustrialisierten Welt einschließlich Auschwitz-Mord entstehen Trash-Kameraden, deren Singularität in der je unterschiedlichen Ausformung ihrer Deformation besteht. Und weil das Prinzip der Herrschaft auf die Beherrschten durchschlägt, erleiden auch die Widerständigen entsprechende Deformationen, wie es die Figur des Zaccaria in überzeugender Stringenz vorführt. Die Herrschenden als wahnhaft Beherrschte und Besessene, deren Anmaßung der Absolutheit sie letztendlich selbst vernichtet. Weber hält ein Plädoyer auf die religiöse Toleranz, nimmt dem antiken Antijudaismus sachgerecht die rassische Komponente und gibt damit dem Holocaust die ihm zustehende eschatologische Dimension zurück. Gesten, die an den Warschauer- Ghetto-Jungen ebenso erinnern wie an die Auschwitz-Rampe, Verbot, geistig Jude zu sein, Bibelverbrennung als Inbegriff der Geistvernichtung, Thorarolle als Freiheitsinsignie. Dekalogtafeln, die brechen, bevor den Opfern die Augen übergehen. Aber auch die religionsimmanente Intoleranz kommt zur Sprache, die den Keim der gegenseitigen Vernichtung jener in sich trägt, die eben noch sich mit den Trash-Figuren identifizieren können. Die Aktualität besteht in der zeitlosen Konstellation und immanenten Gefährdetheit aller Heilssysteme. Eine nachwirkende Nabucco-Inszenierung, die Weltliteratur, darstellende Kunst, große Oper und rettende Utopie miteinander verbindet.
Das Römische Amphitheater in Trier bietet den idealen Schauplatz. Peter Müller nutzt den Raum in seiner ganzen Dimensionalität und Weite. Katakomben für die Protagonisten und man meint, das antike ad leonem! von Ferne im Nachhall noch raunen zu hören. Stufen für höhere Ebenen, die den Chören ermöglichen, ihre antithetischen Einsätze zu visualisieren. Die Niederungen von Verfolgung und Kabale, trash- scene im Innenraum des Amphitheaters. Der Abhang, von dem das Verhängnis herab stürmt. Die Anhöhe, auf dem Baal unter einem Heiligen Baum der Geist geopfert wird. Auf einem Wägelchen herbei gekarrt, das an die Leichenhandkarren im Ghetto gemahnt. Das Orchester zwischen Tribüne und Trash-People. Vorzüglich wie die Raumgestaltung auch die pastoralen Lichteffekte.
Carola Vollath zeichnet mit ihren Kostümen Charaktere, ohne der Versuchung zu erliegen, gefällige Ausstattungsoper, ‚Verona plus’ ins Bild zu setzen. Stimmungen und Befindlichkeiten kommen in den Farben zum Ausdruck, die Nähe von positiver Religion und Militärisch-Industriellem-Komplex wird augenfällig in der Phantasierobe des Baalpriesters, halb Bischof, halb General. Das Hinausreichen Wollen des kleinen Ich stellt Vollath dar mit Hilfe von Stecken, die die Reichweite der Arme verlängern, die vor allem Abigaille als Fordernder vorzüglich zupass kommen. Bilder von großer Suggestion.
Der Festspielchor steigert sich schnell zu einer fulminanten Leistung. Choreographie (Sven Grützmacher), Einsatzgenauigkeit, Erfassen und Beherrschen des ungewohnten Raumes, Klangfülle und Schöne, unverzichtbare Ingredienzien für das gelungene Aufführen dieser Oper.
Jens Bingert und Reinhold Neisius haben überzeugende Arbeit vorgeführt. Wie GMD István Dénes, der die eigene Festspielbanda und das Philharmonische Orchester Trier zu einer hochkonzentrierten, jedem Pathos abholden, einfühlsamen Verdi-Interpretation führte.
Alle Solisten des Abends überzeugten mit ansprechenden Leistungen. Mikolai Zalasinski gab mit seinem herrlichen Bariton Nabucco die zukommende Folie, Juri Zinovenko gab dem Zaccaria mit mächtigem Bass Stimme und Gewicht. László Lukács weiß als Oberpriester des Baal zu gefallen. Gor Arsenian, armenischer Heldentenor mit großem Potential, erobert in der Rolle des Ismaele die Herzen des Publikums wie das von Fenena, die Eva Maria Günschmann mit ihrem ausdrucksschönen Mezzosopran darstellte. Auch die kleinen Rollen der Ana und des Abdallo gut besetzt mit Evelyn Czesla und Peter Koppelmann. Überragend an diesem Abend als prima inter pares Vera Wenkert, die mit unglaublicher Präsenz, hohem Sinn für Dramatik und einer grandiosen Singleistung, einer Stimme voller Dynamik und Erotik die Abigaille gab.
Das Publikum verdient schon deshalb einen Stern mehr, weil an diesem Abend das Halbfinale der Fußball-EM mit deutscher Beteiligung über die (Fernseh-)Bühne ging. Der Jubel in der Pause (die Vorstellung ging bis nach Mitternacht) entsprechend. Scheinbar war ein Teil der Begeisterung auf die Nationalkicker umgeleitet worden, einen „Vorhang“ länger hätten die Protagonisten da unten schon verdient gehabt. Aber Festspielpublikum bleibt halt Gelegenheitspublikum. Dafür war die Konzentration und der kräftige Schlussapplaus schon okay. Trier, weiter so! Und öfter, wenn möglich!
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