Sie sind hier: Rezensionen
10.10.2024 : 19:40 : +0200

Verspielte Phantasien: Hoffmanns Erzählungen in Trier

31.10.2008

Von einer brillanten Inszenierung an einem kleinen Haus berichtet Frank Herkommer für opernnetz.de

Verspielte Phantasien

Wenn ein kleineres Haus mit limitiertem Budget sich an Hoffmanns Erzählungen wagt, sind Kreativität, Intelligenz und Phantasie besonders angefragt. Regisseurin Birgit Scherzer wird diesen Ansprüchen in Trier souverän gerecht. Selten erlebt man eine solche phantastische Textverständlichkeit, vor allem aber eine so evidente Umsetzung der Geschichte(n). Scherzer bedient sich dabei eines genialen Bühnenbilds (Manfred Gruber), dessen sich verjüngende Flächen an architektonische Formen des Potsdamer Platzes oder des Jüdischen Museums in Berlin erinnern. Ineinander laufende, sich überschneidende schräg abfallende Dreiecke, die je nach Lage der Dinge optisch transparent, räumlich durchlässig oder verschlossen sind, Projektionsflächen für Gefühlsgemengelagen (blau oder rot), einschließlich Kanal für Verdrängtes. Das ganze auf einer Drehbühne, eine Raumaufteilung, die anschaulich werden lässt, dass es sich bei Olympia, Antonia und Stella um drei Möglichkeiten der Chiffre Traumfrau handelt. Jede dieser Frauengeschichten hat ihr eigenes Symbol. Über Olympia die überdimensionale mechanische Konstruktion, Nasenpendel und Schmollmund, dazu die ständig dem Geschehen folgenden Riesenaugen. Wenn Hoffmann nach dem Sehen auch das Hören gründlich vergehen soll, symbolisiert ein Flügel die Frauenträume als Trägerin von Kunst und geborenes Opfer als weiterer Chimäre. Deckel auf, Leiche drin. Wir sehen es im Spiegel. Immer wieder humorvolle Brechungen, bevor die Phantasien zum Kolleg werden. Die Gondel schwebt im dritten Bild fragmentarisch über das Geschehen, wenn der Chor im Carnevale diVenezia in irre komischen Frauenkostümen auftritt, Männlein wie Weiblein. Dezent setzt die Regisseurin großflächig Videobilder ein, arbeitet mit Abspaltungen und Brechtschen Verfremdungen - ein stummer Rosenkavalier und ein unzeitgemäßer Radfahrer mit Melone. Das Publikum schien damit allerdings überfordert und abgelenkt. Weniger wäre an dieser Stelle vielleicht mehr gewesen.










Fotos: Klaus-Dieter Theis

Alexandra Bentele stattet das Ensemble mit liebevoll detaillierten Kostümen aus. Niklas im Anzug, wie es sich für eine Hosenrolle geziemt. Der Chor im Blaumann als Bühnenarbeiter in der Kantine. Die Diva im Nerz. Und der letzte Romantiker augenzwinkernd mit Hosenträgern. Chimärenohr und Latexhandschuhe für den Blutsturz,  jedes Detail sitzt.

Das Orchester unter Leitung von Kapellmeister Valtteri Rauhalammi spielt inspiriert auf. Nachdem Chor und Orchester schnell zueinander gefunden hatten, eine ansprechende Leistung.

Wolfgang Schwaninger singt und spielt einen überragenden Hoffmann. Seine kultivierte, dynamisch erotische Stimme alleine macht schon den Besuch dieser Aufführung lohnend. Überzeugend und ansprechend die Leistung von Eva Maria Günschmann als Niklas/Muse. Ihre lyrische, seelenvolle Interpretation bringt ihre stimmlichen Anlagen voll zum Ausdruck. Eric Rieger mit großer Spielfreude (Andreas/Cochenille/Franz/Pitichinaccio) und feiner stimmlicher Präsenz. László Lukács weiß als Lindorf/Coppelius/Mirakel und Dapertutto zu gefallen, schelmenhaft im Spiel und souverän im Vortrag. Evelyn Czesla eine hinreißende, urkomische, wunderschön tanzende und singstarke Olympia. Adréana Kraschewski gibt Stella und Antonia verschiedene fein differenzierte Klangfarben, die Stimme ausdrucksstark und technisch ausgereift. Ihr Spiel anrührend. Sung Heon Ha begeisterte als Crespel mit seiner mächtigen, ergreifenden Stimme. In den weiteren Rollen durchweg ansprechend: Vera Wenkert (Giulietta), Peter Koppelmann (Nathanael/Spalanzani), Carsten Emmerich (Hermann), Jürgen Orelly (Luther/Schlemihl) und Vera Ilieva (Mutter Antonias). Der Chor unter Leitung von Jens Bingert klein, aber fein.

Das Publikum: Im gut katholischen Trier gehört es noch zur bürgerlichen Pflicht, in die Oper zu gehen. Da sitzt dann mancher dabei, der besser zur Eintracht ginge. Oder zu Kolping. Die etwas davon verstehen - immer noch die große Mehrheit - waren sehr angetan. Freitag Abend, das Haus ausverkauft. Das müssen andere erst mal nach machen.